Oberhausen. .
„Ich bin der Böse, mich mobbt keiner!“, wirft sich der zehnjährige Schüler in die Brust, seine Rolle für das Schultheaterstück hat er in Kürze verinnerlicht. Vielleicht kein Wunder, denn auf Oberhausener Schulhöfen ist Mobbing ebenso trauriger Alltag wie überall in Deutschland: Wer Schwäche zeigt, kriegt auf die Mütze, ist „Opfer“ – dieser Trend hat sich längst im Jargon der „Kiddies“ eingebürgert.
Dem scheinbar einfachen Schema mit komplexer Wirkung wollen nun Grundschüler an der Kardinal-von-Galen Schule emotional auf die Spur kommen. „Voll abgestürzt“ heißt ihr Projekt, das mit Unterstützung einer ehrenamtlichen Theaterpädagogin und des Jugendamts sowie mit finanzieller Förderung der Stadt entwickelt wird.
Denn vom Verstand her wissen die Mädchen und Jungs aus der Klasse vier schon eine Menge übers Mobben. Zwei der dreizehn Schüler haben bereits Erfahrung als Opfer, einige von ihnen waren mehr oder minder aktiv in mobbing-artige Strukturen verwickelt. „Ein Klassenkamerad hat uns immer belogen und uns beleidigt“, erzählt ein Junge. Darum haben ihn die Mitschüler geächtet. Zwei Freunde bestätigen das, geben aber zu: „Der hat immer geprahlt, dass er viele andere Freunde hat, aber das stimmt gar nicht, glaube ich.“
Mobbing schaukelt sich hoch: Was ist Ursache, was Wirkung? Und wer ist Opfer und wer Täter? Häufig ist das den Schülern in diesem Alter noch nicht bewusst, macht die Projekt-begleitende Medien-Trainerin Monika Dohrenbusch deutlich: „Täter geben noch unbewusst weiter, was sie selbst an sich erlebt haben.“ Die anderen ziehen mit, weil sie nicht in die Schusslinie geraten wollen. Aus diesem Grund wollen Dohrenbusch und die ehrenamtlich arbeitende Theaterpädagogin Anja Brunsbach die Emotionen vermitteln, die beide Seiten erleben: Wie ist es, wenn man sich schwach fühlt, sich klein macht?
Aber wer will schon schwach sein? Denn wer mobbt, hat vermeintlich viele Freunde. Für Schüler, die gemobbt werden, ist es dagegen oft schwer, zu merken oder gar sich einzugestehen, dass sie unterdrückt werden. „Es ist aber wichtig, dass ich die eigene Schwäche zugebe“, erwidert Dohrenbusch, „nur dann kann ich mir Hilfe suchen“.
„Schwäche ist verboten, starke Posen sind wichtig“, Theaterpädagogin Brunsbach erlebte das an Grundschulen nicht selten. Zudem beobachtet sie eine zunehmende Verrohung auf den Schulhöfen, doch auch danach gehe für manche der Reigen an Demütigungen weiter: im Internet. Jugendliche haben heute über Schüler-VZ und Facebook viel mehr Kontakte als wir früher, weiß Brunsbach, es sind nicht immer „Freunde“. Die Anonymität im Internet mache Beleidigungen und das Verbreiten von Gerüchten einfach, ohne dass daraus Konsequenzen für die Täter entstehen.
Offenes Ende
Auch unter den 13 Schülern der Kardinal-von-Galen Grundschule ist mancher Junge bei Facebook angemeldet – aber über den Namen des Vaters. „Dann kann ich mit meinen Verwandten aus der Türkei chatten“, nennt einer die Vorteile des sozialen Netzwerkes. Wenn auch keiner von ihnen bislang schlechte Erfahrung mit Chatrooms und Co gemacht hat - die Gefahren der sozialen Netzwerke sind den Neun- und Zehnjährigen durchaus bekannt: „Man soll nicht seinen ganzen Namen und die Adresse angeben“, klärt ein Junge auf, „weil man sonst überfallen werden kann“, und erst recht nicht, wo man gerade hin will.
Das Theaterprojekt will auch Cyber-Mobbing aufgreifen, erzählt Brunsbach. Vom Stress in der Schule wird die Mobbing-Spirale sich bis in die virtuelle Welt erstrecken. Die dramatische Schlüsselszene – das gemobbte Mädchen irrt durch eine Welt aus Schwarzlicht – wird ein offenes Ende haben. „Die Lösungen sollen im Publikum entstehen“, hofft die Theaterpädagogin. Am Freitag beginnt die Premiere in der Grundschule um 14 Uhr.