Oberhausen.

Flugzeuge, Klettverschlüsse, der Lotus-Effekt – sie alle haben ein gemeinsames biologisches Vorbild. Auch am Fraunhofer-Institut Umsicht hat man sich von der Natur inspirieren lassen und entwickelt Kunststoffe, die sich selbst heilen. Vorbilder sind Birkenfeige und Kautschukbaum.

Idee hinter diesem Forschungsprojekt namens „Osiris“ ist es zu verhindern, dass Kunststoffe plötzlich brechen. Denn kleinste Risse, die meist kaum zu erkennen sind, wachsen durch Belastung oder Alterung an und können schlagartig zum Bruch führen. Das kann sogar Menschen gefährden – beispielsweise bei Bauteilen von Maschinen. Ist der Riss erst sichtbar, ist es oft schon zu spät. „Wir möchten das Wachstum der Risse deshalb schon in der Anfangsphase unterbinden oder zumindest deutlich verlangsamen“, erklärt Max von Tapavicza, der an diesem Projekt forscht.

Als der 28-Jährige die Birkenfeige in seinem Büro vorsichtig mit einem Skalpell anschneidet, quillt augenblicklich der dickflüssige, weiße Milchsaft aus dem Stamm, der für den Wundverschluss sorgt. In den Milchsaftröhren der Pflanze herrscht nämlich ein hoher Druck von bis zu 15 bar – zum Vergleich: In einem Autoreifen sind es meist nicht mehr als 2,5. Deshalb kommt der Milchsaft auch so schnell aus der Rinde geschossen. Dabei brechen Mikrokapseln auf und setzen ein Protein frei, das die „Wunde“ zusammen mit Latexteilchen fest verschließt.

Dieses Prinzip übertrugen die Wissenschaftler auf Kunststoffe – zunächst allerdings nicht mit dem gewünschten Erfolg. Erst wurden verschiedene Klebstoffe verkapselt, die dann im Kunststoff eine Selbstheilung anregen sollten. Das Problem: Die Kapseln waren nicht stabil genug und ließen sich nicht verarbeiten. Ein zweiter Versuch – nun waren die Kapseln aber so stabil, dass sie bei einer Verletzung gar nicht erst aufbrachen.

Eine neue Strategie musste her. „Wir haben geschaut: Was gibt’s sonst noch in den Pflanzen?“, erklärt von Tapavicza das Vorgehen. Weil sich die Proteine, die bei einer Verletzung der Pflanze freigesetzt werden, durch Ionen miteinander verbinden, wurden auch die Kunststoffe nun mit solchen geladenen Teilchen ausgestattet. Wird der Kunststoff jetzt beschädigt, werden die gegensätzlich geladenen Ionen zunächst getrennt, suchen sich dann aber wieder neue Bindungspartner. Wie bei zwei Magneten zieht ein positiv geladenes Teilchen ein negativ geladenes an, und die Wunde wird verschlossen.

Die Selbstheilung ist also gar nicht klebrig, sondern funktioniert über Wechselwirkungen. Dass diese Art des „Wundverschlusses“ äußerst effektiv ist, zeigen Tests: Das Material, das erst komplett durchgeschnitten und dann wieder zusammengefügt wurde, lässt sich nach einigen Stunden Heildauer fast genauso weit dehnen wie das unbeschädigte Material. Von Vorteil ist, dass eine solche Heilung beliebig oft wiederholt werden kann.

Automobil-Industrie
zeigt schon Interesse

Dichtungsringe, Schwingungsdämpfer, Auspuffaufhänger oder etwa Reifen – die potenziellen Anwendungsgebiete solcher selbstheilenden Kunststoffe sind vielseitig. Vor allem auch für die Automobilindustrie könnten sie durchaus attraktiv sein. „Das Interesse der Industrie ist schon jetzt riesig“, erzählt von Tapavicza. Aber so weit, dass schon ein Produkt verkauft werden könnte, ist man zur Zeit noch nicht. Erst stehen noch wichtige Langzeittests an.

Max von Tapavicza arbeitet derweil an seiner Doktorarbeit zu diesem Thema. „Es war von Anfang an so angedacht, dass daraus meine Promotion wird“, erklärt er. Studiert hat er sowohl Chemie als auch Betriebswirtschaft, das Fraunhofer-Institut war für ihn ein erster Schritt hin zu industrienahem Arbeiten. „Mir gefällt‘s hier. Hier kann man sich selbst verwirklichen, sehen, was man gerne macht und seine eigenen Ideen einbringen. Zum Berufseinstieg ist das Fraunhofer Institut nur zu empfehlen.“