Oberhausen. .

Es ist ein Geburtstag, den niemand gerne feiert: Seit zehn Jahren versorgt die Tafel bedürftige Menschen in dieser Stadt mit Lebensmitteln. Sie füllt damit eine Lücke, die die öffentliche Hand nicht mehr erreicht, eine Lücke, die weiter aufklafft: „Wenn sich nicht bald etwas ändert“, sagt Tafelgründer Josef Stemper, „sind wir 2021 immer noch da“.

Stemper ist ein unscheinbarer Mann mit grauen Augen und wohl getrimmtem Vollbart. An diesem Samstag sitzt er in der kühlen Kirche „Heilige Familie“ an der Gustavstraße, die seit vier Jahren Lagerstätte und eine von drei Verteilstellen der Tafel ist. 2001 haben er und 20 Mitbürger angefangen, von Supermarkt zu Supermarkt zu fahren, um unverkäufliche Waren zu sammeln. „20 Prozent landeten damals auf dem Müll.“ Das Diakonische Werk hatte im Rahmen der Agenda 21 zur Tafelgründung aufgerufen; Stemper als Mitarbeiter des Sozialamts kannte die sozialen Brennpunkte, wusste, wo Hilfe nötig war. „Mir war nur nicht klar, wie schnell wir an Grenzen stoßen würden.“

Aus Kofferräumen heraus hat die Tafel Lebensmittel verteilt, in Holten, am Uhlandplatz, in Klosterhardt. Bald reichte das nicht mehr aus: Rund 200 Menschen am Existenzminimum versorgte die Einrichtung 2001, heute sind es bis zu 1500. Rund 90 Ehrenamtliche sammeln für sie jede Woche 10,5 Tonnen Lebensmittel ein, verteilen sie in Tackenberg, Holten und Alt-Oberhausen. Dreimal in der Woche bekommt die Tafel zudem warme Mahlzeiten u.a. von Gaststätten geliefert, die sie gegen 50 Cent austeilen.

Dazu kommen soziale Einrichtungen, die kaum eigene Mittel haben und auf die Tafel angewiesen sind; auch Ganztagsschulen, die von benachteiligten Kindern besucht werden, deren Eltern fürs Essen nichts bezahlen können.

Immer jünger würden seine Kunden, sagt Stemper, und immer mehr Arbeitslose seien darunter. Väter, die ohne Job, aber mit den gleichen monatlichen Abgaben dastehen, machten die Hälfte der Kundschaft aus. „Früher waren es drei Prozent.“ In den zuständigen Ämtern bekämen die Hilfsbedürftigen oft gleich präventiv Flyer der Tafeln mit. „Die Aufgabe des Staates wurde aufs Ehrenamt verlagert.“

Auf der Suche nach günstigen Wohnungen landen diese Familien in „Ghettos“, wie Stemper sagt. „Wir haben heute viele soziale Brennpunkte, die es vor zehn Jahren noch nicht gab.“ Die Stadt sei gefragt, schon im Kindergarten müssen die Kleinen auf das gleiche Lernniveau gebracht werden, damit ihre Lehrer später nicht von Null anfangen, die Qualität des Unterrichts nicht leiden muss. „Dann bleiben auch reichere Kinder in den Ortsteilen.“ Sozialer Wohnungsbau sei ebenfalls dringend notwendig.

Umdenken ist gefordert

Die Politik findet viele Worte des Lobes für die Tafel, auch an diesem Festtag. Geld hat sie aber nicht. Stattdessen sind es Spenden von Mitbürgern, die einen Großteil des Jahresbudgets von knapp 100 000 Euro ausmachen. Josef Stemper hofft auf ein Umdenken, dass vielleicht der Wahlsieg der Piratenpartei in Berlin auch in Oberhausen für unkonventionelle Ideen sorgt. Die Diskussion um das Sozialticket verfolgt er, mit Unbehagen: „Wer sozial benachteiligt ist, sollte kostenfrei Busfahren dürfen.“

„Ich bin darauf angewiesen“

Heide D. kommt seit drei Jahren zur Tafel. Eine Wohltat sei diese Einrichtung, sagt die 59-Jährige, für all jene, die nicht viel zum und auch nicht vom Leben haben. Schnell spricht sie, als habe sie lange niemand gefragt, erzählt von der Schuhfabrik, in der sie als ungelernte Kraft in den 70er Jahren angefangen hat. Für ihren Mann habe sie damit aufgehört, auch wegen der drei Kinder, mit denen ihr Partner sie bald sitzen ließ.

„Als die Kinder groß waren, konnte ich nicht mehr viel vorweisen.“ Also hat sie genommen, was kam, prekäre Beschäftigungen, Ein-Euro-Jobs, Praktika. Bisher ohne Aussicht auf mehr, warum, das bleibt ungesagt. Nur soviel: „Ich werde auch nicht viel Rente bekommen, ich bin weiter auf die Tafel angewiesen.“

Einmal wöchentlich kommt sie zur Gustavstraße, bezahlt wie die übrigen Kunden einen Euro für eine Losnummer, mit der sie einkaufen kann: Gemüse, Obst, Gebäck.

Diese Waren bringen Menschen wie Rolf Neu heran - einer der 90 Freiwilligen. Morgens um 6.45 Uhr holt er mit dem Tafel-Transporter Brötchen aus Essen, Tiefkühlware aus Buschhausen ab. Sechs Mann fahren jeden Tag durch die Region, von den 10,5 Tonnen sortieren andere rund 30 Prozent Müll heraus. Seit vier Jahren macht er das, sagt Neu, seit er in Rente ist. „Ich wollte etwas Sinnvolles tun.“