In seinen Ritzen und Nischen ist Oberhausen lebendiger als man glaubt.
Das ist kein Moos, weiß Heinz Hermann Verholte, bückt sich und kratzt ein kleines Gewächs aus den Ritzen der gepflasterten Fußgängerzone am Schwanenbrunnen.
Was die meisten Menschen mit oberflächlichem Blick von ihrer Terrassenoberfläche kärchern, schaut sich der Nabu-Experte genauer an und entdeckt „Mastkraut – das hat einen hohen Nährwert und wird gern von Schafen gefressen”. Etwas weiter findet er Breitwegerich, das „als Heilmittel genutzt wird”. Was Verholte auf seiner Expedition durch die Innenstadt an Flora und Fauna entdeckt, ist so interessant, dass sich 30 Abenteuerlustige auch nicht durch den warmen Sommerregen aufhalten lassen. Und bereits in der Langemarkstraße stoßen sie auf eine echte Rarität: Hirschzunge streckt sich gemütlich hinter den Gitterstäben eines Schachtes aus – der stehe auf der roten Liste gefährdeter Arten, klärt Verholte auf. der Halbschatten ist für den seltenen Farn ideal und so wie er haben sich einige Gewächse im Verborgenen niedergelassen – vermutlich vom Topf direkt in die Nischen.
Nicht alles ist so schön, dafür aber nützlich: „Fast eine Seuche” sei der Sacherling-Knöterich, den der Nabu-Mann an der Ecke zum Saporoshje-Platz aufstöbert. Eigentlich stammt der aus Asien und Japan und wird meist dort angepflanzt, wo sich Schadstoffe im Boden angesammelt haben, denn die zieht der zähe Typ raus. Psst! Wer sich am Saporoshje-Platz ruhig hinstellt, hört einen Buchfinken trällern. Ausgerechnet bei dem Niesel ist er auf Brautschau. „Der Überschlag am Schluss ist typisch für sein Balzlied”, meint Verholte.
„Warum ist der Sperling zurückgegangen?”, wundert sich mancher. Dabei galt der in den 60er Jahren noch als Schädling. Wie andere Vogelarten, die sich in die Stadt oder in Vororte zurückgezogen haben, leidet der Sperling an verschwindenen Nistplätzen und Nahrungsbiotopen. Noch dramatischer hat es den Mauersegler getroffen: „Wo früher 10 bis 15 Paare lebten, sind heute nur noch 5,” informiert Michael Tomec, Nabu-Mann und Artenschutzbeauftragter in Oberhausen, denn im Zuge vieler Hausdämmungen seien die Brutnischen in den Fassaden zugemacht worden. Dabei sei es einfach, die Vögel wieder anzusiedeln: Wer Tipps braucht, wie man gefährdete Arten in seinem Garten ansiedeln kann, kann sich an den Nabu wenden.
„Es gibt in der Natur nichts Böses und Gutes”, rückt Tomec außerdem das gängige Bild der räuberischen Elster gerade. In der Stadt fallen die krakeelenden Rabenvögel nur besonders auf, zudem finden sie hier ein gutes Nahrungsbiotop vor – der Gesamtbestand sei aber zurückgegangen, darauf weist der Ornithologe hin. Dass die „Landeier” hin und wieder Nester samt Eiern und Jungvögeln schon mal – nun ja – ausräumten, sei halt Natur: „Eichhörnchen jagt man aber auch nicht, obwohl sie Vogeleier räubern.” „Schwarzer Nachtschatten”, zeigt Pflanzenkundler Verholte am Saporoshje-Platz. Eigentlich ist er verwandt mit den Tomaten, aber Vorsicht: Er gilt als giftig. „Zumindest die Samen”, weist ein kundiger Abenteurer hin, in anderen Ländern werde aus den Beeren Konfitüre hergestellt. Schwarzer Holunder wächst ebenfalls am Platz: „Die Blüten kann man braten und essen, die Beeren zu Saft verarbeiten”, gibt Verholte ein kleines Einmaleins des städtischen Überlebenstrainings – „nur roh essen...” Besser nicht. Die gelbe Flüssigkeit des Schöllkrauts ein paar Meter weiter ist, entgegen des landläufigen Namens „Warzenkraut”, nicht gegen Hautgeschwülste geeignet. Ruth Wetzel (62) ist von der ungewöhnlichen Exkursion recht begeistert: „So intensiv betrachtet man Pflanzen in der Stadt sonst nie”. Und auch Waltraud Eitner (72), die auf ihren Spaziergängen gerne aufmerksam die Flora und Fauna studiert, ist überrascht, was Verholte aus Büschen und Nischen hervorzieht: „Spannend!”