Oberhausen..

„Merlin! Socke! Zieh!“ Es sind kurze Kommandos, die Jörg Terjung (44) dem hellen Labrador Merlin gibt. Und der Hund erledigt seinen Job mit Feuereifer. Dazu gehört auch, Terjung beim Ausziehen zu helfen. Terjung ist körperlich stark behindert. Merlin ein ausgebildeter Behindertenbegleithund.

Und so ist der Spruch auf der gelben Weste des Tieres „Assistenzhund - Bitte nicht stören“ auch nicht neckisch, sondern ernst gemeint. „Merlin muss sich auf seine Arbeit konzentrieren“, sagt Hundetrainerin Laetitia Schlebrowski (31).

Sie erzählt auch, was alles zu den Aufgaben des Labradors gehört. „Am Rollstuhl gut laufen, Schränke öffnen, das Licht an- und aus knipsen, alles aufheben, was auf den Boden gefallen ist, den Fahrstuhl holen, Ampelknöpfe drücken.“ Zum Beispiel. Weil sein neues Herrchen nach seiner schweren Erkrankung auch Epileptiker ist, hat Merlin schon gelernt, im Notfall laut zu bellen. „Wir haben nette Nachbarn, die würden dann helfen“, sagt Natalie Holthaus, Jörg Terjungs Frau (40). So kann sie künftig auch mal wieder in Ruhe zum Arzt oder zum Einkaufen gehen. „Ich konnte meinen Mann vorher nicht alleine lassen“, sagt sie.

Fortschritte im Team mit dem Hund

Das Schicksal hat den Oberhausener auf eine harte Probe gestellt. 2009 wurde bei ihm ein Hirntumor diagnostiziert. Im Januar 2010 folgte die OP. Danach war Terjung rechtsseitig gelähmt, sein Sprachzentrum lahm gelegt. „Er hatte die gleichen Symptome wie nach einem Schlaganfall“, erklärt seine Frau. Der rechte Arm des 44-Jährigen blieb gelähmt. „Das Sprechen geht schon wieder gut, dafür, dass ich es gar nicht mehr konnte“, sagt er. Doch jeder Fortschritt bedeutet harte Arbeit. Und die bewältigen Terjung und Holthaus jetzt im Team mit Merlin.

Von den Behindertenbegleithunden erfuhr Natalie Holthaus während einer Reha-Maßnahme ihre Mannes. Sie holte im Internet Erkundigungen ein und stieß dabei auf den Förderverein der Kynos Stiftung „Hunde helfen Menschen“. Und die Hunde helfen den Menschen nicht nur bei banalen Handgriffen. Sie sind auch Balsam für die Seele. „Mein Mann hatte sich arg eingeigelt nach seiner Erkrankung“, erzählt seine Frau.

Jetzt muss er mit dem Hund an die Luft. „Spazieren gehen wir zusammen“, sagt Natalie Holthaus, die ihren Mann im Rollstuhl schiebt. Wenn Terjung erst einen Elektro-Rolli hat, kann er auch mit Merlin allein raus. „Über Hunde knüpft man soziale Kontakte“, weiß auch Trainerin Laetitia Schlebrowski. Und Terjung muss mit Merlin reden, was seine Sprachfähigkeit zusätzlich fördert.

Krankenkassen übernehmen Kosten nicht

Der Oberhausener hatte übrigens Glück, dass er sehr schnell seinen Merlin bekam. „Normalerweise muss man mit bis zu zwei Jahren Wartezeit rechnen“, sagt die Hunde-Trainerin. Dann ist da noch das leidige Thema Geld. 20 000 Euro kostet ein Behindertenbegleithund, für den die Krankenkassen im Gegensatz zu Blindenhunden die Kosten nicht übernehmen. Die neuen Besitzer müssen je nach Finanzkraft mindestens 2550 Euro dazu zahlen, den Rest trägt die Stiftung. Aber selbst die 2550 Euro sind für den ehemals Selbstständigen Terjung, der durch seine Krankheit zum Hartz IV-Empfänger wurde, nicht zu finanzieren. Deshalb wurde eigens für die Familie ein Spendenkonto eingeräumt.

Apropos Behinderten-freundliche Gesellschaft: „Die Behindertenbegleithunde sind den Blindenhunden immer noch nicht gleichgestellt“, ärgert sich Schlebrowski. In Oberhausen sei Merlin wohl vom Leinenzwang befreit. „Aber unser Lebensmittelhändler will den Hund nicht im Laden haben“, sagt Holthaus. Selbst wenn sämtliche zuständigen Ämter einer Stadt aus hygienischer Sicht ihr Okay gäben, wären Händler oft nicht bereit, einen Behindertenbegleithund im Geschäft zu dulden. „Dabei könnten Betroffene mit ihren Tieren auch allein einkaufen gehen“, macht Schlebrowski klar.

Von der Stadt war zu erfahren, dass laut Lebensmittelhygieneverordnung Hunde grundsätzlich nicht in Supermärkte dürfen, Blinden- und Behindertenbegleithunde bildeten da keine Ausnahme. Wenn der Eigentümer eines Marktes sage, „der Hund bleibt draußen“, dann bleibe er auch draußen.

Die Kynos Stiftung hilft

Die Kynos Stiftung „Hunde helfen Menschen“ hat sich das Ziel gesteckt, behinderten Menschen durch die Bereitstellung eines ausgebildeten Assistenzhundes Hilfestellung bei der Bewältigung ihres Lebens zu geben. Je nach Ausbildung werden Blindenführ-, Behindertenbegleit-, Therapie- oder Hör- und Signalhunde unterschieden.

Therapiehunde etwa werden zur Förderung autistischer Kinder, in Kinderheimen- und Schulen oder auch in Seniorenheimen eingesetzt. Hör- und Signalhunde unterstützen vor allem gehörlose Menschen.

Bundesweit wurden mit Hilfe der Stiftung seit 2001 jährlich etwa acht Hunde ausgebildet. „Wir suchen die Hunde schon als Welpen aus“, sagt Laetitia Schlebrowski, eine der Trainerinnen. Die Tiere, meist Golden Retriever, Labradore oder Collies, kommen später in Patenfamilien. „Dort lernen sie die Grunderziehung“, sagt die Trainerin. Mit zwölf bis 14 Monaten erfolgt dann die eigentliche Ausbildung beim Trainer, die bis zu zwei Jahre dauern kann.

Ehe der Hund zu seinem neuen Menschen wechselt, kommt der für eine Woche zum Trainer, um den Umgang mit dem Tier zu lernen. Anschließend geht der Trainer sieben Tage mit zum neuen Besitzer, weil das Tier lernen muss, sich in der neuen Umgebung zurecht zu finden, der Mensch, den Umgang mit dem Hund. „Bis Mensch und Tier ein Team sind, das dauert rund sechs Monate“, weiß Schlebrowski.

Die Kynos Stiftung sucht ständig Züchter, die ihr Welpen zur Verfügung stellt, Patenfamilien für die Aufzucht der Tiere und Sponsoren. Spendenkonto: Volksbank Eifel Mitte eG, BLZ 586 915 00, Konto-Nr. 806 3006.