Oberhausen. .

Wenn am Muttertag all ihre Kinder kämen, reichte der Platz in der eigens angeschafften extra großen Sitzecke im Wohnzimmer der Brunows in ihrem Haus in Königshardt nicht einmal ansatzweise aus. Die Kinderschar würde die Zahl 20 bei weitem überschreiten - die Enkelkinder nicht mitgezählt. Ute Brunow, ihr Mann Gerd und die ganze Rasselbande sind eine ungewöhnliche Großfamilie. Adoptiv- und Pflegekinder geben sich hier die Klinke in die Hand. Ute Brunow ist seit drei Jahren Vorsitzende der Oberhausener Interessengemeinschaft für Adoptiv- und Pflegeeltern e.V. - und sie ist Pflegemutter mit Leib und Seele.

Angefangen hat es mit der Diagnose, dass Ute Brunow keine Kinder bekommen kann: „Da war ich 23 Jahre und musste das erst mal verdauen.“ Doch der Wunsch nach Kindern blieb. Die jung Vermählten entschlossen sich zur Adoption. Es dauerte drei Jahre, bis Marius 1986 das Leben der kleinen Familie bereicherte. „Er war erst sieben Tage alt“, erinnert sich die 50-Jährige. Marius sollte kein Einzelkind bleiben: „Aber damals gab es lange Adoptionslisten. Das Jugendamt riet uns, Pflegekinder aufzunehmen.“

Wachsende Großfamilie

Gesagt, getan - mit Heimkind André, damals zwei Jahre, kam das erste Pflegekind ins Haus, 1989 folgte sein acht Monate alter Bruder René. Inzwischen längst erwachsen, zieht es ihn immer noch regelmäßig nach Königshardt: „Das ist mein Zuhause. Hier war immer jedes Kind wichtig.“ Auf die Frage, ob er selbst eine Großfamilie gründen möchte, winkt er aber schmunzelnd ab. Nach der Fachoberschulreife machte René eine Ausbildung zum Industriemechaniker bei der MAN Sterkrade und bekam dort eine unbefristete Anstellung. Längst gehört er ebenso zur Familie wie Sonja, die als Adoptivtochter 1995 das Familienglück komplettierte.

Sonja ist heute verheiratet, Mutter der dreijährigen Maja und als Sozialarbeiterin bei der Ruhrwerkstatt tätig. Sie war 14, als sie in die Familie kam: „Am Anfang war das schwierig. Ich war Einzelkind, und jetzt kamen plötzlich an Geburtstagen nicht nur alle Kinder, sondern Großeltern, Tanten und Onkel. Das war echt zu viel. Ich hab’ mich in mein Zimmer verkrümelt“, lacht die 30-Jährige, die sich aber schnell eingewöhnte: „Als ich mit 19 mit meinem Freund zusammenzog, kam ich trotzdem fast täglich zum Mittagessen nach Hause.“

Vor allem von den Kleinen im Hause Brunow wurde sie angehimmelt. „Weil sie immer so verrückte Ideen hatte“, verrät Ute Brunow. Sonja ergänzt: „Wir wollten unbedingt mal eine Tortenschlacht nachspielen. Da hat Mama Paradiescreme gekocht und dann ging’s im Garten rund.“

Durchgegriffen wurde aber auch: „Unsere Eltern legten Wert auf Pünktlichkeit und darauf, dass in der Schule alles lief“, erinnert sich Sonja. „Das genau kennen doch die Pflegekinder, die wir hatten und haben, nicht“, sagt Ute Brunow, „geregelte Tagesabläufe sind ihnen fremd.“ Darin sieht sie eine wesentliche Aufgabe als Pflegemutter: „Den Kindern einen Ruhepol zu bieten, jemanden, der sich kümmert und ihnen einen geregelten Alltag nahebringt.“

Sie und ihr Mann hätten den Pflegekindern aber stets klar gemacht, dass ihr Aufenthalt zeitlich begrenzt sei. „Das haben sie verstanden; wir waren immer offen zu ihnen.“ Auch haben sie ihren Adoptivkindern vermittelt, dass sie dauerhaft zur Familie gehören: „Wir hatten ein Ritual, wenn Pflegekinder wieder gingen. Wir haben uns alle an den Händen gefasst und gesagt: Rums, rums, rums, jetzt sind wir wieder unter uns.“

Offenheit im Umgang mit den Menschen in ihrer Umgebung musste Ute Brunow erst lernen: „Anfangs habe ich geweint, wenn uns jemand vorwarf, wir nähmen Pflegekinder nur wegen des Geldes auf. Ich wusste anfangs nicht mal, dass es Geld für ein Pflegekind gibt.“ Inzwischen geht sie offensiv damit um, erklärt, welche Kosten anfallen, „wenn wir nur mal alle in eine Eisdiele gehen“.

Entscheidung nie bereut

Bereut hat sie es nie, dass sie und ihr Mann ihr Leben den Adoptiv- und Pflegekindern gewidmet haben – und es immer noch tun: „Wir bekommen so viel zurück!“ Ohne die Unterstützung ihrer Mutter, ihrer Kollegen in der Agentur für Arbeit, und der flexiblen Arbeitszeit ihres Mannes, der als selbstständiger Fliesenleger arbeitet, sei all das aber kaum möglich gewesen. Ebenso wenig wie ohne die Unterstützung von Jugendamt und Caritas, sagt Ute Brunow.

Und ihr Muttertag? Für den hat Enkelin Maja schon Pläne: „Wir gehen auf den Spielplatz!“