Oberhausen. Der Wanderfalke ist der schnellste Vogel Europas und war in den 70ern vom Aussterben bedroht. Ein Wanderfalken-Pärchen nistet bereits seit 2004 alljährlich auf dem Gelände von Oxea. Das Areal der Chemiefabrik lockt aber auch viele andere Tiere an.
Es war im Jahre 2004. „Da war dieser fürchterliche Krach“, erinnert sich Michael Tomec (50). Der Blick des Oxea-Mitarbeiters wanderte damals am Kühlturm des Werks hoch. Hin zur Quelle des Lärms. Und dort entdeckte Tomec die Krachmacher, zwei Wanderfalken, die sich gerade liebten.
„Sie waren plötzlich da“, sagt Tomec, der Mitglied des Naturschutzbundes (NABU) und besonders an Ornithologie interessiert ist. Die Wanderfalken kamen, sahen den Turm und siegten wohl auch, denn sie vertrieben Rabenkrähen dort aus ihrem Nest, um es zu okkupieren. Für die geflügelten Jäger, die bis 2010 noch auf der Roten Liste der bedrohten Arten standen, wurde später sogar ein komfortabler Nistkasten aufgehängt. Sie blieben. Nisteten jedes Jahr erfolgreich. Zogen jeweils zwei bis vier Junge groß.
Wanderfalken blieben treu
Im vergangenen Jahr dann brannte der Kühlturm ab. Die Wanderfalken jedoch, eines von zwei Pärchen in ganz Oberhausen, hielten ihrem Revier die Treue. Deshalb wollte Tomec eigentlich in diesem Jahr am neuen Kühlturm wieder einen Nistkasten aufhängen. Doch das gefiederte Ehepaar hatte sich schon eine Ersatzwohnung ausgeguckt: turmähnliche Produktionsstandorte. „Die Falken haben uns gezeigt, da wollen sie hin“, sagt Tomec. Und auch diesmal mussten wieder Rabenkrähen aus ihrem Nest weichen. Allerdings haben die Menschen den Falken dann ein komfortableres Heim verschafft. Da der einen Meter breite, einen halben Meter hohe und einen Meter tiefe Nistkasten noch nicht geschreinert war, tut es bei dieser Brut ein schlichter Hundekorb. Der wurde noch mit feinem Kies ausgestreut. „Damit die Eier nicht durch die Gegend kollern“, erklärt Tomec. Fertig war die Falken-Villa, die in schwindelerregender Höhe angebracht wurde.
Der Vorteil des neuen Niststandortes gegenüber dem Kühlturm ist, dass man dort hinaufklettern und die Jungen beringen kann. Wobei das eine Aufgabe ist, die längst nicht jeder erledigen darf, über die entsprechende Stellen informiert sein müssen. Die es aber später ermöglicht, das Alter und die Herkunft eines Vogels festzustellen. Denn die Jungen müssen das Revier der Eltern verlassen, wenn sie erwachsen sind. Tomec: „Wie der Name Wanderfalke schon sagt, legen sie weite Strecken zurück.“ Besonders die Weibchen. Bis nach Frankreich seien manche geflogen. Innerhalb ihres Reviers jagen die Falken, die eigentlich in Felswänden nisten, während der Brutsaison in einem Gebiet von fünf Quadratkilometern, außerhalb der Saison dehnen sie ihr Jagdgebiet sogar auf zehn Quadratkilometer aus. „Der Wanderfalke ist der schnellste Vogel Europas“, sagt Tomec noch. Bei der Jagd, ausschließlich Vögel bis Taubengröße, bringt er es auf 340 km/h. Und noch etwas Bemerkenswertes: Wenn so ein Falke lesen könnte, dann auch eine Tageszeitung aus 100 Metern Höhe.
Beinahe ausgestorben
Mit den Wanderfalken hat Tomec, Industriemeister der Fachrichtung Metall und bei Oxea für Rohrnetze für Wasser, Gase oder Dampf zuständig, überhaupt schon spannende Geschichten erlebt. Dabei war diese Vogelart Anfang der 70er Jahre beinahe ausgestorben. Weil das damals noch erlaubte Pflanzenschutzmittel DDT die Schalen der Eier der Raubvögel so brüchig machte, dass sie zerbrachen. Und weil die Tiere heftig bejagt wurden. Was übrigens heute trotz strikten Verbots auch immer noch passiert.
Tomec erzählt von einer Mitarbeiterin der Biologischen Station Westliches Ruhrgebiet, in deren Diplomarbeit die Oxea-Falken auftauchten. Die Falken leben zwar eigentlich in Einehe, vergnügen sich aber manchmal auch anderweitig. Tomec: „Ein Männchen hat schon mal zwei Weibchen oder umgekehrt.“ So untersuchte die Diplomandin in einem Jahr gentechnisch die Federkiele der Jungen und stellte fest: Sie waren von zwei Vätern. „Was gut für den Genpool ist“, sagt Tomec.
Anziehungspunkt für Tiere
Michael Tomec arbeitet bereits seit 1975 für das Chemiewerk Oxea. Mit der Tierwelt auf dem Werksgelände, das zu zwei Dritteln aus Natur besteht, kennt er sich bestens aus.
„Hier brüten über 40 Vogelarten“, sagt Tomec. 60 Vogelarten gibt es auf dem Gelände überhaupt, dazu gehören zwei von zehn in Oberhausen brütende Steinkauzpärchen, deren Art nach wie vor auf der Roten Liste der bedrohten Tiere steht. Feldhasen, Füchse, Fasane, Fledermäuse, das grüne Gelände des Chemiewerks scheint ein großer Anziehungspunkt für die Mitglieder der Tierwelt zu sein.
Tomec sagt auch, dass sein Hobby, die Ornithologie, mehr sei als nur Vogelbeobachtung. Es ist auch richtig viel Arbeit. So helfen die NABU-Mitglieder den Mitarbeitern der Biologischen Station bei Kartierungsarbeiten, etwa wo und welche Vogelart genistet hat. Beraten Städte, wenn es bei geplanten Baumaßnahmen um Fragen rund um den Erhalt von Biotopen geht.