Oberbürgermeister Klaus Wehling (SPD) im Gespräch über die akuten Finanzprobleme der Stadt, seine persönlichen Erfolge und Misserfolge
Angesichts der tiefen Finanzmisere der Ruhrgebietsstädte ruft Oberbürgermeister Klaus Wehling (SPD) Bund und Land zu einer konzertierten Hilfsaktion für die Städte mit hohen Sozialkosten auf.
Herr Oberbürgermeister Wehling, Sie regieren Oberhausen nun schon seit gut sechs Jahren. Was betrachten Sie als Ihren Erfolg, was haben Sie von ihren Zielen noch nicht erreicht?
Wehling: Ich bin angetreten, um Oberhausen kinder- und familienfreundlicher zu machen. Dafür haben wir ein Bündnis für Familien geschlossen und ein Familienbüro eingerichtet. In diesem Bereich hat sich in den vergangenen sechs Jahren viel getan. Ich will nur zwei Beispiele nennen: So haben wir etwa eingeführt, dass fast alle frisch gebackenen Eltern der jährlich 2000 Neugeborenen in Oberhausen von Fachleuten besucht werden, die diese beraten. Hebammen helfen Familien sogar bis zu einem Jahr lang regelmäßig in der schwierigen Anfangszeit. Entscheidend ist heute, die Lebensbedingungen der Bürger zu verbessern. Die Zeiten der städtebaulichen Leuchtturm-Projekte sind doch endgültig passé, die wären für uns ohnehin nicht mehr finanzierbar gewesen.
Und was haben Sie bisher nicht erreicht?
Wir wollten auf dem alten Stahlwerksgelände gegenüber dem Centro eine hohe Zahl an Arbeitsplätzen schaffen, das ist uns noch nicht gelungen. Die frühere schwarz-gelbe Landesregierung hat 2006 unser Projekt Ovision in der Zukunftsbranche Gesundheit gekippt. Deshalb mussten wir eine andere Vermarktung des Geländes wählen: Angesichts der hervorragenden Lage dieses Grundstückes hatte ich erwartet, dass sich dann schneller sehr interessante Unternehmen ansiedeln. Aber ich bleibe optimistisch.
Nun entsteht statt eines internationalen Gesundheitszentrums eine Groß-Spielhalle mit 150 Glücksspielautomaten. Neben der Turbinenhalle wird eine weitere Spielhalle gebaut. Ist der Trend von Oberhausen zu Klein-Las-Vegas rufschädigend oder fördert dies den Tourismus?
Ich glaube nicht, dass durch zwei größere Spielhallen hier amerikanische Verhältnisse einziehen. Aber tatsächlich ist die Entwicklung Oberhausens zum Tourismus-Standort ein beachtlicher Erfolg mit vielen neuen Arbeitsplätzen. Über acht Prozent der Wirtschaftskraft Oberhausens kommen mittlerweile aus dem touristischen Bereich.
Werden denn dort nicht junge Erwachsene zu Suchtspielern gemacht?
Nein, denn die größten Gefahren für junge Leute gehen nach Aussagen von Fachleuten von Glücksspielen im Internet aus.
Oberhausen ist mit 8000 Euro Schulden pro Einwohner die höchst verschuldete Stadt Deutschlands, das Eigenkapital ist aufgezehrt. Viele Entscheidungen fallen nicht mehr hier vor Ort, sondern durch die Bezirksregierung Düsseldorf. Wer hat denn Schuld an der Finanzmisere von Oberhausen?
Letztendlich hat der Wegfall von fast 50 000 Arbeitsplätzen in der Stahl- und Kohleindustrie die Defizite verursacht: Steuereinnahmen brachen weg, die Soziallasten stiegen extrem an. Seit 1986 befinden wir uns in der Konsolidierung, hatten bis auf zwei Jahre keinen ausgeglichenen Haushalt mehr, weil stetig steigende Pflichtausgaben die Einnahmen deutlich übersteigen. Im Zuge des Strukturwandels haben wir sehr viele kleine und mittlere Betriebe angesiedelt, doch die zahlen bei weitem nicht so viel Gewerbesteuer, wie das die Großbetriebe der Vergangenheit getan haben. Wir haben im Gegensatz zu Essen oder Dortmund nämlich auch nicht mehr die großen Gewerbesteuerzahler.
Hat Oberhausen selbst genug getan, genug gespart?
Ich bin seit 1979 im Rat, bei neuen Projekten hieß es in der SPD-Fraktion immer: Wo ist denn der Deckungsbeitrag? Wir sind immer sehr bewusst mit Geld umgegangen, aber natürlich haben wir auch Fehler im Prozess des Strukturwandels gemacht: Man muss sich die Frage stellen, ob manche Großprojekte wie das Musicaltheater sich finanziell gerechnet haben. Aber die Musicals sind heute ein großer Tourismusmagnet.
Ist die marode Finanzlage Oberhausens mit fast zwei Milliarden Euro Schulden mittlerweile unumkehrbar? Kann es Oberhausen noch aus eigener Kraft schaffen?
Nein. Wir brauchen ganz massive Hilfe von Bund und Land. Alleine kommen wir aus dem Dilemma nicht mehr heraus. Unbedingt muss etwa die Unterstützung für die neuen Länder im Osten reformiert werden: Wir benötigen eine Förderung nach Bedürftigkeit und nicht nach Himmelsrichtung. Vor allem brauchen wir einen Ausgleich dafür, dass wir von Bund und Land immer mehr Aufgaben ohne ausreichende Finanzausstattung übernehmen mussten.
Also kann sich Oberhausen zurücklehnen?
Nein, auch wir müssen handeln. In Abstimmung mit der Bezirksregierung erarbeiten wir ein neues Sparpaket zur Konsolidierung unserer Finanzen. Wir sind seit mehreren Jahren nur noch Bittsteller: Wir dürfen kein Personal einstellen, nicht befördern, nicht nach Wunsch ausbilden und müssen jede Einzelinvestition von Düsseldorf genehmigen lassen. Unsere Spielräume tendieren gegen Null.
Das zeigt ja, wie fremdregiert Oberhausen ist. Dies ist ein großer Machtverlust für den gewählten Oberbürgermeister, aber auch ein Schaden für die Selbstverwaltung der Bürger in dieser Stadt.
Ja, das ist eine schlimme Entwicklung. Die Selbstverwaltung ist verfassungsrechtlich geschützt, doch in Wahrheit sind wir in viel zu vielen Punkten fremdbestimmt. Um das zu ändern, kommen wir ohne tiefe Einschnitte nicht aus.
Worauf müssen sich die Bürger einstellen?
Wir müssen Dienstleistungen der Stadt an die sinkende Bevölkerungszahl anpassen. Brauchen wir beispielsweise noch alle Schulstandorte, alle Servicestellen, alle Friedhöfe, können wir uns ein so dichtes Nahverkehrsnetz leisten, können die kulturellen Angebote so breit bleiben wie bisher? Die Bürger werden die Einsparungen stärker spüren als bisher. Aber ein intelligenter und kreativer Sparkurs kann auch zu Verbesserungen führen. Beispiel: Statt sieben maroder Schwimmbäder haben wir ja jetzt drei neue, die bestens angenommen werden. Das haben wir intensiv mit den Bürgern diskutiert und das werden wir wieder so machen.
In der Diskussion sind derzeit die Probleme am Kleinen Markt in Sterkrade: Betrunkene, Obdachlose, Drogensüchtige. Gibt es in Oberhausen Ihrer Meinung nach Angst-Räume, Gegenden, wo Bürger sich nicht mehr hintrauen?
Angst ist eine subjektive Wahrnehmung, die Polizeistatistik ist eindeutig: Oberhausen ist eine sichere Stadt. Am Hauptbahnhof haben wir gemeinsam mit der Polizei eine Lösung gefunden. In Sterkrade müssen wir alle betroffenen Bürger einbeziehen. Ich kann nicht einfach sagen: Diese Menschen will ich dort nicht. Das sind auch Bürger in der Stadt. Ich darf sie nicht einfach vertreiben, sondern muss ihnen Hilfsangebote machen.
In Oberhausen leben derzeit 25 000 Ausländer, aber viel mehr Oberhausener haben eine Zuwanderungsgeschichte. Wo sehen Sie Probleme im Zusammenleben der Kulturen, was muss verbessert werden?
Wir haben im Gegensatz zu Duisburg keinen Stadtteil mit einer Ghettoisierung von Ausländern. Es gibt bei uns keine massiven Probleme mit Familien aus anderen Kulturkreisen. Sorgen mache ich mir um Jugendliche mit Migrationshintergrund, die keine Ausbildungsstelle haben. Betriebe und Unternehmen müssen mehr Lehrstellen anbieten und die besonderen Fähigkeiten von Jugendlichen mit Migrationshintergrund nutzen. Auch ausländische Unternehmer können sicherlich noch vermehrt Ausbildungsmöglichkeiten anbieten. Angesichts der schrumpfenden Zahl an Kindern dürfen wir keinen Jugendlichen mehr zurücklassen.
Was Lehrer und Eltern oft ärgert ist, dass sich manche türkische Eltern weigern, ihre Kinder beim Klassenausflug mitzuschicken oder am Schwimmunterricht teilnehmen zu lassen. Muss man da mehr mit Pflichten und Strafen arbeiten?
Ich habe einen anderen Ansatz. Man muss schon in den Kindergärten anfangen. Überzeugungsarbeit auf freiwilliger Basis bringt wesentlich mehr als staatlicher Zwang.
Kommen wir zu Ihrer Partei: 40 Jahre lang holte die SPD in Oberhausen über 50 Prozent der Stimmen. Bei der letzten Kommunalwahl verlor die SPD in Oberhausen zwar über 6 Prozent, aber 44 Prozent wären für die Bundes-SPD ein sensationelles Traumergebnis. Was machen die Oberhausener Sozialdemokraten besser als die restliche SPD?
Unsere Politiker sind sehr stark in der Bevölkerung verankert, in Vereinen und Verbänden. Die Bürgerinnen und Bürger haben hier sofort ihre Ansprechpartner. Das direkte Gespräch ist durch nichts zu ersetzen, die Bürger bekommen so Vertrauen, dass sich jemand wirklich für Sie einsetzt und sich um ihre Probleme kümmert. Wir stellen uns auch unbequemen Diskussionen. Wir sind auch da, wo es stinkt und brodelt. Letztlich hat die SPD den Strukturwandel in Oberhausen sozial ausgewogen gestaltet. Die SPD in Oberhausen stand in den ganzen Jahren des Wandels für eine solidarische Stadtgesellschaft.
Sie sind noch für weitere knapp fünf Jahre gewählt, wären bei der nächsten Wahl des Stadtoberhaupts 68 Jahre alt. Ist für Sie dann wirklich Schluss?
Ich bin immer noch leidenschaftlich dabei, aber dann ist nun wirklich genug. Ich bin seit 40 Jahren im öffentlichen Dienst, seit über 30 Jahren im Rat. Dann müssen Jüngere ran.
Wenn die Oberhausener Bürger irgendwann einmal Ihre Amtszeit bilanzieren, was sollen sie über Ihre Leistungen für die Stadt, über den Menschen Klaus Wehling sagen?
Ich würde mir wünschen, die Bürgerinnen und Bürger sagen, der Wehling hat die Stadt trotz schwierigster Bedingungen wieder handlungsfähig gemacht und im Sinne von Johannes Rau, das Leben der Menschen in Oberhausen ein Stück menschlicher gemacht.
Das Gespräch führten Andrea Rickers und Peter Szymaniak.