Der CVJM lädt jedes Jahr zum Heiligabend rund 100 Alleinstehende der unteren Einkommensschichten zum Weihnachtsessen ein. Ein Besuch.

Sie schaut nur kurz auf, als sich die Fremde neben sie setzt. Von sich selbst mag sie nicht erzählen, redet lieber über die anderen, die auf den zum Quadrat zusammengestellten Sofas miteinander schwatzen. In ihrer Mitte steht ein niedriger Holztisch mit vollem Aschenbecher, beladen mit Kaffeekannen und einem Teller gekauften Spekulatius. Bis gerade eben, sagt die Frau, hätten da auch noch selbst gemachte Plätzchen gelegen. Das letzte habe der da hinten aber gegessen, führt sie aus und zeigt auf einen zu früh ergrauten Mann, der sich den Pulli über die knochigen Arme krempelt, ohne dass dabei Asche von seiner schon lange nicht mehr brennenden Zigarette fällt.

Rotkohl und Gulasch werden gleich serviert. Sie sprechen über Belangloses, lachen und quatschen. Foto: Hayrettin Özcan / WAZ FotoPool
Rotkohl und Gulasch werden gleich serviert. Sie sprechen über Belangloses, lachen und quatschen. Foto: Hayrettin Özcan / WAZ FotoPool

Und die Frauen neben ihm, die würden leere Pfandflaschen sammeln, schon morgens um vier. Die Angesprochenen nicken kurz, ehe sich ihre Gespräche wieder unter das aufgedrehte Stimmengewirr ihrer Sitznachbarn mischen. Man kennt sich hier, im Haus des Christlichen Vereins Junger Menschen (CVJM) an der Marktstraße. Seit knapp 50 Jahren lädt der Verein am Heiligen Abend zum Weihnachtsessen ein. „Ich komme jedes Jahr her“, heißt es aus einem nahezu zahnlosen Mund, „dann ist man wenigstens nicht allein“.

Rund 100 Gäste haben sich für diesen Abend angemeldet. In dem verqualmten Raum mit der quadratischen Sofaecke sitzen sie oder stehen in dem angrenzenden Flur, viele mit Harzt IV, manche ohne Bleibe, allesamt sozial Randständige und alleinstehend. Hier lachen sie miteinander, sprechen über Belangloses, das ihnen wichtig ist, und warten darauf, dass sich die Türen zu dem Speisesaal öffnen.

Dort ist die Tafel bereits angerichtet, Rotkohl und Gulasch gibt es, verrät Diakon Martin Meister, der eine Pause von der letzten Bandprobe nimmt, die auf der kleinen Bühne ohne ihn weiter geht. Seit 2006 führt der 56-Jährige mit dem langen grauen Bart die Geschäfte des CVJM in unserer Stadt. Unter anderem organisiert er das Weihnachtsessen, das sich zu Anfang an die Männer richtete, die im CVJM-Wohnheim leben. Schon lange Jahre stehe der Abend aber auch für Auswärtige offen. Die meisten Besucher, so Meister, würden aus der Innenstadt kommen, wo der Anteil Armutsgefährdeter vergleichsweise hoch sei. „Unsere Gesellschaft wird immer anonymer, viele sind allein und wollen das gerade an Weihnachten nicht sein. Anmelden kann sich deshalb jeder, der will“, sagt Meister.

Das Essen ist für die Teilnehmer kostenfrei und wird über Spenden von lokalen Betrieben und Privatpersonen finanziert. Ebenso die Geschenke: „Für bis zu 25 Euro gibt es Dinge für den Alltagsgebrauch, Handtücher oder Bettwäsche, außerdem verteilen wir Lebensmittel.“ Die Nachfrage steige von Jahr zu Jahr. „Wenn wir könnten, würden wir noch mehr Menschen einladen.“

Nur mit Ehrenamtlichen

Dafür bräuchte es aber weitere Ehrenamtliche. Rund 20 Gläubige haben den heutigen Abend organisiert, unter ihnen die Familie Salke. Mutter Jutta schiebt die Kaffeetassen zusammen, als der letzte Gast den Kaffeetisch verlässt und sich langsamen Schrittes in den Speisesaal begibt. Dort habe sie ihre Hochzeit gefeiert, erinnert sich die schlanke 48-Jährige mit den kurzen schwarzen Haaren. Eng sei sie mit dem CVJM verbunden, habe über den Verein vor 23 Jahren ihren Mann kennen gelernt. Gemeinsam helfen sie seit knapp 20 Jahren beim Weihnachtsessen aus. „Zu viele Menschen sind an Weihnachten allein, das sollten sie nicht sein. Deshalb finde ich es sinnvoll, den Abend hier zu unterstützen.“

Ihre Tochter Kathrin bringen die Salkes regelmäßig mit. „Ich bin hier im CVJM-Haus quasi aufgewachsen, viele der Menschen kennen mich, seit ich ein Baby war“, sagt die 16-Jährige, die sehr viel reifer wirkt. Berührungsängste habe sie keine. Und dass die Bescherung im eigenen Haus auf später verschoben wird, sei auch nicht schlimm. „Es macht mich glücklich, wenn ich anderen eine Freude bescheren kann. Das ist doch schon ein Geschenk an sich.“