Als vor einigen Tagen ein Polizeiwagen hinter dem Auto von Maud Tieku auftauchte, bekam die 34-jährige Ghanaerin es mit der Angst zu tun. Doch es war keine Angst vor den Polizisten.

Es war die Angst davor, mit ihnen Deutsch zu sprechen.

Genau um diese Angst zu bekämpfen, sitzt Maud Tieku mit knapp zehn anderen Migrantinnen derzeit im VHS-Kurs „Leben in Deutschland. Souveräner Umgang mit Alltagssituationen“. Natürlich geht es für die Frauen auch darum, die Sprache richtig zu lernen. Viele konnten vor dem Kurs nur bruchstückhaft Deutsch, obwohl sie zum Teil schon über zehn Jahre hier leben. Arife Sencan hat eine Erklärung dafür. Die 36-Jährige kam vor 17 Jahren aus der Türkei nach Oberhausen. Zu Hause spreche man Türkisch, schaue türkisches Fernsehen, habe türkische Nachbarn. „Ich hatte so gut wie keine Kontakte zu Deutschen“, sagt sie. Außerdem sei sie zu lange nur zu Hause geblieben.

Doch nun ist sie froh, zum VHS-Kurs gegangen zu sein. „Hier muss ich sprechen.“ Sprechen, das ist das Stichwort. Jede der Frauen hat reichlich Erfahrung mit Deutschkursen gemacht. Meistens mit sehr geringem Erfolg. Häufig würden dabei einfach zu viel Grammatik gepaukt und Lückentexte gefüllt, sind sich die Frauen einig. „Die Theorie ist schlecht für mich“, sagt Arife Sencan. „Erklären bleibt besser im Kopf“, findet die 36-Jährige. Kursleiterin Natalie Neumann hält zwei große Tabellen hoch, in denen „sein“ und „haben“ konjugiert sind. „Ich habe geflogen, das geht nicht“, erklärt sie. „Ich bin geflogen“, ergänzt Arife Sencan und lacht. Ihr Lachen zeigt: Sie hat den Unterschied ganz genau begriffen. Wodurch?

Kursleiterin Natalie Neumann hat mehrere Antworten darauf. Sie ist selbst Migrantin, kam vor neun Jahren aus der Ukraine nach Deutschland, ohne ein Wort Deutsch zu können. Sie kennt das Gefühl, in einem Deutsch-Kurs zu sitzen, ohne etwas zu verstehen. „Deshalb verstehe ich auch, was die Frauen brauchen“, sagt sie. „Die Grammatik muss man gelernt haben, doch das heißt noch lange nicht, dass man auch sprechen und verstehen kann.“ Doch womit hat es dann zu tun? „Das Sprechen muss mit Emotionen verknüpft werden“, sagt die Diplom-Psychologin. „Was Spaß macht, bleibt auch hängen.“ Deshalb gestalte sie ihren Kurs möglichst locker, baue Scherze ein, gehe spielerisch vor – „wie mit Kindern“. Außerdem senke sie die Hürde fürs Sprechen. „Ich predige immer: Sie sollen sprechen, mit allen Fehlern und ich korrigiere sie dann.“

Wenn das eine Frau sagt, die selbst als Migrantin nach Deutschland kam, scheinen die Frauen es noch besser aufzunehmen. „Das ist locker hier!“, freut sich Arife Sencan. „Immer nur mit Disziplin geht es nicht“, fügt Hatice Getintas (35) hinzu. Die anderen nicken begeistert. Sie fühlen sich wohl.

Der Kurs laufe alles in allem sehr gut, findet Gruppenleiterin Natalie Neumann. „So viel Motivation habe ich noch nicht erlebt“, sagt sie. Es wird nicht umsonst sein: Alle Kursteilnehmerinnen sind auch da, um danach auf dem Arbeitsmarkt bessere Chancen zu haben. Die lebenslustige Polin Grozyna Kielbukowska ist ein schönes Beispiel: Die 51-Jährige möchte unbedingt als Verkäuferin arbeiten. „Das passt auch zu ihr“, findet Natalie Neumann.

Und Maud Tieku möchte ihren beiden Kindern unbedingt beide Sprachen beibringen: das ghanaische „Ciw“ und Deutsch. Vor der neuen Sprache hat sie schon bei weitem nicht mehr so viel Angst, wie am Anfang – oder noch optimistischer: „Jetzt habe ich keine Angst mehr.“

Der VHS-Kursus „Leben in Deutschland. Souveräner Umgang mit Alltagssituationen“ findet im Rahmen des EU-geförderten Projektes „Stärken vor Ort“ statt. Das vom Europäischen Sozialfonds und dem Bundesfamilienministerium unterstützte Projekt will sozial benachteiligte Stadtteile stärken. Knapp zehn Frauen besuchen den seit Anfang September laufenden Kursus regelmäßig. Viele kommen von der Kurbel oder ähnlichen Einrichtungen. Ziel ist es, die Sprach- und Kommunikationskompetenz von Frauen mit Migrationshintergrund zu stärken, ihnen außerdem dabei zu helfen, ihre Stärken, Ziele und Wünsche zu finden. Es werden auch PC-Kenntnisse vermittelt, Bewerbungen geübt, Arztbesuche und Behördengänge. Am 17. Dezember geht der Kurs mit einer Abschlusspräsentation zu Ende.