Oberhausen. .

Wenn Oberhausen von einer Explosion vernichtet würde, was sollte stehen bleiben? Wir. „Liebe deinen Untergang“ befiehlt uns Regisseurin Angela Richter als Gegenstrategie.

Weil jeder von uns im Verlauf seines Lebens mehr oder weniger viele Katastrophen überlebt, befielt uns die Regisseurin Angela Richter nun „Liebe deinen Untergang“ als Gegenstrategie.

Ein Projekt nennt sie ihre Inszenierung. Premiere war am Freitagabend im Malersaal des Theaters. Vier Schauspieler, Mohammad-Ali Behoudi, Martin Müller-Reisinger, Hartmut Stanke und Elisabeth Kopp, zeigen uns, wie Überleben funktioniert. Angela Richter schickt sie in Therapie. Sie gibt ihnen die Aufgabe, „sich selbst zu fiktionalisieren“.

Die Spielregel: Einer kotzt sich aus, die anderen drei Personen tragen ihn. Das Ziel: Geheilt wird nur, wer es schafft, die traurigen Aspekte des Lebens zu genießen.

Die Zuschauer sind eingeladen, den Prozess zu verfolgen. Sie können nicht entkommen. Es lässt sich nämlich nicht vermeiden, sich mit einzelnen Aspekten der persönlichen Lebenskatastrophen zu identifizieren. Haben Sie nicht auch schon einmal erlebt, dass das gebuchte Ferienhaus anders aussah, als im Katalog? War nicht Ihre Kindheit ein schrecklicher Fehler? Wollten Sie nicht schon oft mal Ihren Job hinschmeißen oder wie steht’s mit der Flucht in die Sucht?

Der „Tatort“ des Geschehens ist unverkennbar Oberhausen, doch die Suche nach dem Sinn des Daseins könnte auch in jeder anderen Stadt geschehen. Überall verkriechen sich Menschen in den eigenen, kleinen vier Wänden, was das aus Hütten gebaute Bühnenbild wunderbar symbolisiert. Wer sich traut, heraus zu kriechen, gelangt entweder zum Arbeitsplatz oder in die Freizeit-Unkultur. Letztere wird dargestellt durch im Centro gedrehte, auf die Hüttenlandschaft projizierte bewegte Bilder, die immer wieder unsere Untergangsgruppe zeigen, wie sie umherirrt in einer toten Welt. Andere Menschen kommen nicht vor.

Per Video wird dem Zuschauer auch die Ebene Arbeitsplatz serviert. Hier ist es die Regisseurin Angela Richter selbst, die die Aufgabe übernimmt, die Mitspieler zum Durchhalten zu motivieren und ihre Marotten zu akzeptieren: Ich kann nicht mehr, wofür mache ich das bloß! Menschen am Rand des Nervenzusammenbruchs.

Doch kehren wir zurück zur Therapiegruppe, die auf der Bühne agiert. „Findet ihr uns langweilig?“, fragen sie am Ende das Publikum. Nein, keineswegs. Die überzogene, satirische Selbstdarstellung (besonders krass: Martin Müller-Reisinger) fasziniert und amüsiert. Die Botschaft kommt rüber: Schauspieler sind auch nur Menschen, die Probleme haben wie wir, die sich fragen, ob nicht mittlerweile das Internet die wahre Wirklichkeit ist und ob es nicht überfällig ist, die Welt abzuschreiben. Die bricht am Schluss ein, die Hüttenstadt zerfällt. Mit Hilfe bewegender Bilder explodiert Oberhausen. Die Darsteller überleben und erhalten viel Applaus. „Los ihr Ärsche, ab ins Falstaff!“ Gibt’s eine bessere Möglichkeit, den Untergang zu lieben?

Vita: Die Regisseurin

Angela Richter wurde 1972 in Berlin geboren. Sie studierte Theaterregie bei Jürgen Flimm an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg. Seit 2001 arbeitet sie als Regisseurin. Für ihre Inszenierung „Der Fall Esra“, die auf einem verbotenen Roman von Maxim Biller beruht, erhielt sie 2009 den Rolf-Mares-Preis. Bei den Salzburger Festspielen inszenierte sie als young directors project „Tod in Theben“.