Der Imagefilm auf der Homepage im Internet vermittelt erst einmal das klassische Bild: Männer drehen bei Oxea in Holten das große Rad, haben alles voll im Griff. Schrauben Rohre zusammen, bedienen Schieber, kontrollieren die Produktion – in der Anlage, an Computern in der Messwarte. Nach dreißig Sekunden aber stirbt das Klischee – Julia Olejniczak rückt ins Bild, der Schichtmeister.
„20 Minuten lang bin ich für diesen Film in der Anlage rauf- und runtergekraxelt“, sagt die 28-Jährige. Julia Olejniczak ist die einzige Schichtleiterin bei Oxea auf dem Werk. Eine Vorzeigefrau, fürs Firmenvideo also ein Muss. Selbst wenn Frauen in der chemischen Industrie in Wirklichkeit längst keine Exoten mehr sind – in Oberhausen leitet Dr. Martina Flöel das Werk mit seinen rund 1000 Mitarbeitern – beträgt ihr Anteil in der Produktion doch gerade einmal erst sechs Prozent. „1988 starteten die ersten, das waren damals drei Frauen“, sagt Oxea-Sprecherin Birgit Reichel.
Das Handicap für die meisten ist der Familienkiller Wechselschicht: Arbeitsbeginn im Rhythmus 5.30 Uhr, 13.30 Uhr, 21.30. Eine Woche frei.
Ursprünglich wollte Julia Olejniczak, Tochter eines Bergmanns und einer Verkäuferin aus Alstaden, Erzieherin werden. Doch nachdem sie in der Theodor-Heuss-Realschule auf dem Tackenberg Chemie als Pflichtfach gehabt hatte, lag eine Ausbildung bei der Ruhrchemie näher.
Vier Stunden dauerte der Einstellungstest, dem sich bei Oxea jährlich rund 300 Jugendliche stellen. Dann ist die erste Hürde schon geschafft. Am Ende entscheidet ein persönliches Gespräch. „Wir sichten pro Jahr bis zu 1000 Bewerbungen, fast 30 werden eingestellt“, erläutert Birgit Reichel.
Julia Olejniczak war in ihrem Ausbildungsjahr allein unter Männern. Die 176 Zentimeter große und schlanke dunkelblonde Frau ließ vom ersten Tag an ihrem Ehrgeiz freien Lauf. Verkürzter Lehrzeit („Wir wollten alle Geld sehen.“) folgten Halbjahres-, Jahres- und dann unbefristeter Vertrag. 2004 bis 2008 bildete sich Julia Olejniczak nach Feierabend zum Techniker weiter, 2006 wurde sie 2. Fahrerin einer Anlage in der Aldehyd-Produktion, im März 2009 wechselte sie als Schichtleiterin in den Alkohol-Bereich.
„Ich habe Glück gehabt, ich war zur rechten Zeit am richtigen Ort“, sagt Julia Olejniczak. Maßlos untertrieben klingt das, gibt sie doch in einer weitgehend von Männern dominierten Arbeitswelt Tag für Tag die Richtung vor. Können gehört mindestens dazu, aber auch das toughe Auftreten der Chefin, die als Statussymbol gelben Baumwollzwirn statt Blaumann tragen darf.
„Mein Job ist es aufzupassen, dass die Jungs die Anlage fahren und diese störungsfrei produziert“, sagt Julia Olejniczak. 1600 Tonnen Alkohole (Butanol und 2Ethylhexanol) sind das tägliche Ziel, die Jungs, das sind 14 männliche Kollegen, die zur Schicht gehören. In der Frühschicht weist Julia Olejniczak zudem Mitarbeiter von Fremdfirmen ein, die an der Anlage arbeiten. „Damit diese gut informiert und sicher an die Arbeit kommen.“ Parallel zum Job studiert Olejniczak – das Fachabi gab’s zum Techniker dazu – an der Ruhr-Uni im dritten Semester Verfahrenstechnik. „Zusammen mit zwei anderen Mädels und mit Unterstützung der Kollegen, die Schichten mit mir tauschen.“ Bis zu sechs Mal in der Woche fährt sie nach Bochum.
Ihr Ziel ist es, irgendwann einmal die Wechselschicht zu quittieren. Mit einem Studium in der Tasche könnte sie später in den außertariflichen Bereich wechseln oder sogar Betriebsleiter werden.
Sollten die Imagefilmemacher dann erneut vorbeischauen, bliebe ihr obendrein das Kraxeln erspart.