Quer über Schafköttel, vorbei an wilder Kamille, unter einer Mauer aus hochgewachsenen Zypressen durch – wer den Gnadenhof der Patchworkfamilie Rother/Schnell betritt, sollte festes Schuhwerk anhaben. Wenn er denn nicht direkt stilecht Holzklotschen anhat. Was man halt trägt, wenn man Wikinger besucht.

Dabei sehen Silvia Rother und Peter Schnell gar nicht so aus.

Er im Anzug, sie im Walkmantel... Nur die Mütze der 46-Jährigen verrät die Leidenschaft der beiden Oberhausener, dass so genannte Reenactment, das Auflebenlassen ausgestorbener Völker und Ereignisse aus längst vergangenen Zeiten. Denn die ist nadelgebunden, ein faszinierendes Gebinde aus einem endlichen Faden und Schlingen, das schon in der Jungsteinzeit hergestellt wurde, lange vor Stricknadel und Häkelgarn. Rother und Schnell stellen in ihrer Freizeit einfache Schäfer dar, die im 9. oder 10. Jahrhundert so am Niederrhein gelebt haben könnten. „Erst wollte ich gar nicht, kam mir komisch vor im Gewand“, erzählt der 47-jährige Schnell. Irgendwann kam er sich dann komisch vor, wenn er auf den Mittelaltermärkten, auf denen seine Partnerin aufbaute, keine „Verkleidung“ anhatte – Peter Schnell war infiziert.

Wird es Wochenende, verwandeln sich der RAG-Angestellte, die angehende Bürokauffrau und ihre jüngere Tochter Rebekka in Wikinger. Silvia Rother trägt ein rotkariertes Gewand, an dem mundgeblasene Glasperlen hängen, eine Fibel (Brosche) aus Kupferdraht schließt ihren rechteckigen grauen Wollmantel. Obwohl es kalt und kälter wird und ihr Nacken unter dem rotgefärbten Haar hell glänzt, scheint sie nicht zu frieren: „Der Mantel ist für jede Wetterlage was. Überhaupt hält unser Gewand viel wärmer als normale Kleidung.“ Zehn Mal waren sie auf verschiedenen Märkten dieses Jahr, und dieses Jahr wurden sie auch oft genug nass.

Angefangen hatte alles damit, dass sich die mittlerweile 18-jährige Abiturientin Rebekka darüber beschwerte, dass sie im Geschichtsunterricht überhaupt nichts von der Herkunft der Deutschen erfährt. Die beiden informierten sich, landeten auf Internetseiten von Leuten, die Mittelaltermenschen darstellen. „Irgendwann dachten wir, das probieren wir auch.“ 2008 kam dann der Gnadenhof in Königshardt, „ich wollte ein Grundstück haben, wo man mal in Ruhe handwerken kann, Bogenschießen und Axtwerfen üben oder ein Feuer machen“, sagt Rother. Damit nicht genug, sind auf den 5500 Quadratmetern verwildertem Pachtgelände mittlerweile fast zwei Dutzend Schafe, einige Hängebauchschweine, Ziegen, Gänse, Enten und Hühner eingezogen. Lisa, Lilli und Luna begrüßen Besucher schon am Eingang. Die drei Wollschafe waren die Rasenmäher eines Pastors. „Heilige Tiere also“, lacht Rother. Alle Geschöpfe auf der kleinen Farm sind „Abgabetiere“, die im Internet angeboten wurden. Hier dürfen sie tun und lassen, was sie wollen. Die Produktion von Nachwuchs inklusive. „Im Moment ist das alles noch ein teures Hobby“, sagt Peter Schnell. Irgendwann aber soll sich die Sache refinanzieren. Silvia Rother verkauft authentische Wollprodukte, Mützen und handgeschnitzte Nadeln, gibt auf Anfrage Kurse im Nadelbinden.

Sind die Veranstaltungen, zu denen sie eingeladen werden, weit weg, gibt es auch schon mal Fahrtkosten und Verpflegung. Auch wenn alles Spaß macht – ein wenig Ernst gehört dazu, betonen Rother und Schnell einmütig. „Es ist ja immer die Frage, wie authentisch man in seiner Darstellung ist.“ Mit anderen Gruppen sind sie gerne zusammen, aber „an sich sind wir drei autark.“ Vereinsmeierei und Bürokratie, das liege ihnen gar nicht. Wikinger halt.