Oberhausen. .

Patienten beklagen überlastetes Pflegepersonal am Evangelischen Krankenhaus Oberhausen (EKO). Die Mitarbeitervertretung behauptet: Der Zeitmangel sei politisch gewollt. Die Krankenhaus-Führung spricht von „bedauerlichen Einzelfällen“.

Als der Hausarzt ihre Mutter wieder in eine Klinik überweisen wollte, ging Monika Maas guten Gewissens mit ihr ins Evangelische Krankenhaus Oberhausen (EKO).

„Meine Mutter wurde dort bereits vor eineinhalb Jahren sehr gut behandelt – vom Pflegepersonal und von der Ärzteschaft“, erinnert sich die 55-Jährige. Dieses Mal lief alles anders: Nach drei Wochen Behandlungszeit kritisiert Maas vor allem die Umstände, unter denen die Pflegekräfte arbeiten. Für sie steht fest: „Hier geht meine Mutter nicht mehr hinein.“

Was war passiert? Wegen ihrer Krebserkrankung eingeliefert, diagnostizierte man am EKO außerdem eine Fraktur am rechten Bein der Mutter. „Eine Schwester kam ins Zimmer und wollte das linke Bein meiner Mutter verbinden. Ich wies mehrfach auf den Fehler hin, doch sie hatte keine Zeit und verband das falsche.“ Der Fehler sei behoben worden, „dann kam eine Bewegungstherapeutin dazu, die über die Fraktur nicht informiert worden war – und mit meiner Mutter laufen wollte.“ Die Beschwerdenliste ist lang. Der Tenor: „Das Personal ist überlastet. Teilweise sind die Schwestern allein auf der Station, müssen alles gleichzeitig machen. Kein Wunder, dass Fehler passieren.“

Enormer Druck

Ein bedauerlicher Einzelfall, so Nils Krog, Vorsitzender der Ategris Holding, der Dachgesellschaft, zu der das EKO seit 2006 gehört. An manchen Tagen stehe das Personal unter enormem Druck, dann passierten Fehler. „Aber in 90 Prozent der Fälle läuft alles nach Plan. Ich warne davor, für alles den Personalmangel verantwortlich zu machen.“

Die Pflegekräfte im Haus sehen das anders: Ihre Stationen würden immer größer und seien schwach besetzt. Ein Problem sei u.a. der sogenannte „Kurze Dienst“: Während einige Schwestern ihre Schicht um sechs Uhr beginnen, starten andere erst um acht: „Dann ist man morgens allein für 60 Betten zuständig“, sagt eine Mitarbeiterin. „Das ist nicht mehr zu schaffen.“ Ausreichend Zeit zur Absprache beim Schichtwechsel bleibe oft nicht. „Man rennt nur noch mit. Damit ist keiner zufrieden.“

Frustrierend sei das, sagt auch Karl-Heinz Flasch von der EKO-Mitarbeitervertretung, weil man kaum noch Zeit für ein persönliches Gespräch mit den Patienten habe. Dafür gebe es rund 30 Grüne Damen und Herren, die sich ehrenamtlich um die sozialen Belange der Patienten kümmerten. „Unser Haus steht nicht allein in der Kritik. Die Schuld liegt nicht bei der Geschäftsführung, sondern im deutschen Gesundheitssystem.“ Der Zeitmangel sei politisch gewollt. Flasch: „Nachdem die Bundesregierung das Finanzbett der Hospitäler 1993 grundlegend aufgeschüttelt hatte, mussten die Häuser arg sparen.

Keine Kündigungen

Der Posten der Personalausgaben bot sich an, weil diese im Schnitt 60 Prozent der Gesamtkosten ausmachen. Seit 1996 ist bundesweit jede siebte Vollzeitstelle in der Krankenhauspflege abgebaut worden.“ Im EKO, betont Flasch, habe es trotz Sparkurs aber keine betriebsbedingten Kündigungen gegeben. Stattdessen wurde das finanziell angeschlagene Haus in eine GmbH überführt und Teil der Ategris, einem privaten Träger „mit diakonischer Ausrichtung“, betont EKO-Geschäftsführer Marcus Polle.

„Der Wandel war notwendig“, so Flasch. „Grundsätzlich haben wir zu wenig Personal, das sehe ich, aber einem nackten Mann kann man nicht in die Tasche greifen.“ Das Geld für mehr Personal sei nicht da und der Druck von außen steige, sagt auch Polle: „Es herrscht eine deutliche Überkapazität an Betten, der Wettbewerb ist hart.“ Bestehen kann also nur, wer mit möglichst geringen Personalkosten möglichst viele Patienten behandeln kann? Wie kommt das Haus aus dieser Zwickmühle heraus? Flasch: „Wir müssen als Team zusammenarbeiten. Wenn ein Mitarbeiter sich fünf Minuten mehr für einen Patienten nehmen will, müssen die anderen das auffangen.“

Finanzielle Basis verändert

Vor 17 Jahren wurde das Gesundheitsstrukturgesetz verabschiedet, mit dem sich die finanzielle Basis der Krankenhäuser grundlegend veränderte: An die Stelle von tagesgleichen pauschalisierten Pflegesätzen trat ein Entgeltsystem aus Fallpauschalen, Sonderentgelten sowie Abteilungs- und Basispflegesätzen. Aus der sozialen Einrichtung Krankenhaus wurde ein wirtschaftlicher Betrieb. Nicht alle Häuser überlebten den Wandel: Seit 1993 ist die Anzahl der Hospitäler um rund 12 Prozent gesunken.

In einer Studie des Deutschen Instituts für angewandte Pflegeforschung (DIP) heißt es, dass in den Jahren seit 1996 rund 50 000 Vollzeitstellen in der Krankenhauspflege abgebaut wurden. Die Zahl der Patienten ist weiter gestiegen, von 15,2 Millionen (1993) auf 17,8 Millionen (2009) stationäre Fälle. Allein in den vergangenen drei Jahren hat sich die Zahl der Fälle pro Pflegekraft von 59 auf 61,5 gesteigert.

EKO-Zahlen gibt’s nicht

Vergleichszahlen für das EKO liegen nicht vor: In den 15 Fachabteilungen des Hauses arbeiten 980 Menschen, die 2009 19 200 stationäre und 30 000 ambulante Fälle behandelt haben. Die 521 Betten werden von rund 380 Pflegekräften betreut – diese Zahl umfasst allerdings sowohl Vollzeit- als auch Teilzeitkräfte. Angaben zum Personalrückgang konnten nicht gemacht werden. Hochgerechnet auf alle Gesundheits- und Krankenpflegenden in Krankenhäusern in Deutschland wurden allein im ersten Halbjahr 2008 Überstunden für rund 15 000 zusätzliche Vollzeitkräfte geleistet.

Jede fünfte Pflegekraft gilt als überbelastet. Mit dem Mangel an Pflegepersonal können zusehends auch Mängel in der Patientenversorgung nicht mehr ausgeschlossen werden: Bei Medikationsverabreichung, Verbandswechseln und Hygienemaßnahmen räumen laut einer DIP-Umfrage mehr als die Hälfte der Befragten ein, die Fehler und Mängel nicht ausschließen zu können.