Mit der Zukunft des Theaters beschäftigte sich unlängst eine Podiumsdiskussion. Anlass war das 90-jährige Bestehen des Hauses am Will-Quadflieg-Platz. WAZ-Redakteur Thomas Schmitt konfrontierte im Nachgang den Intendanten Peter Carp mit Zitaten seiner Geburtstagsgäste:

„Die Verachtung des Publikums im Theater hat Tradition.“ (Klaus Siebenhaar)

Peter Carp: Professor Siebenhaar wollte bewusst provozieren, um den Teufel zu spielen und um die Diskussion zu beleben. Er bezieht sich auf eine Zeit des Theaters in den 70er- und 80er-Jahren, die lange vorbei ist.

„Wie schafft man es, dass niemand Angst hat, ins Theater zu gehen?“ (Stefanie Carp)

Wir müssen zugänglich sein für viele unterschiedliche Gruppen. Wir dürfen nicht das Gefühl vermitteln: Da bin ich falsch, die meinen mich gar nicht. Produktionen wie „Peterchens Mondfahrt“ im Gasometer gehören dazu. Wir müssen Menschen ansprechen, die sonst nicht ins Theater gehen, sondern wegen des Ereignischarakters. Ein anderes Beispiel ist „King A“; ein Jugendtheater in Kooperation mit Hip-Hop-Tänzern. Da kommen dann Hip-Hop-Tänzer zu uns, um ihre Leute zu sehen und stellen fest, Theater ist nicht nur Sprechtheater. Vieles, was sich in den unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen tut, kann in unsere Arbeit einfließen. Dann ist das Theater auch ein Stadttheater.

„Ich denke nicht über die Leute nach, die ins Theater kommen, sondern über die, die nicht kommen.“ (Bartosz Szydlowski)

Das ist unser täglich Brot. Wie weckt man Neugier? Das führt schnell zum Thema Menschen mit Migrationshintergrund, die nicht mit Theater aufgewachsen sind. Wir haben erst vor kurzem auf Sardinien in unserer Partnerstadt Carbonia Interviews gedreht mit Menschen, die in Oberhausen gelebt haben. Sie waren als Kinder hierher gekommen und sind später mit ihren eigenen Kindern zurückgezogen. Sie sind also zweimal immigriert. In Oberhausen waren sie die Italiener und Fremden und später in Sardinien waren sie die Deutschen und mussten sich auch wieder integrieren. Die Filme werden wir im Rahmen einer Installation zeigen. Unsere Frage lautet: Bekommen wir damit die sardische Community ins Theater? Weil sie merkt: Das sind unsere Themen, hier wird über uns verhandelt.

Das Theater hat das Thema Integration komplett verschlafen.“ (Klaus Siebenhaar)

Da hat er sicherlich nicht ganz unrecht. Die ganze Bundesrepublik hat das Thema verschlafen. Deswegen gibt es aktuell so eine hektische Reaktion darauf.

„Bei uns in Köln müssen 30 Prozent des Ensembles einen Migrationshintergrund haben.“ (Rita Thiele)

Ich habe das mal durchgezählt. Auf ungefähr 30 Prozent Menschen mit Migrationshintergrund kommen wir auch. Sicher kann eine Quote hilfreich sein, aber viel besser ist es doch, wenn man es gar nicht merkt. Die zweite Generation von Migranten ist nicht primär zu Schauspielern, Bühnenbildnern oder Dramaturgen geworden, sondern die hatten andere Prioritäten. Aber genau so, wie sich die Gesellschaft aus Menschen mit unterschiedlichen Kulturen zusammensetzt, wird sich das in absehbarer Zeit in den Kulturinstituten niederschlagen. Da kommen wir von ganz allein hin.

„Wir müssen wie Künstler denken, nicht wie Sozialarbeiter.“ (Amelie Deuflhard)

Künstlerische Aussagen zu gesellschaftlichen Themen sind für uns als Stadttheater selbstverständlich. Es gibt allerdings manchmal die Tendenz, das Theater als Fortsetzung von Sozialarbeit zu sehen. Wir sollen dann das leisten, was Schule oder andere Institutionen nicht ausreichend hinbekommen. Das ist natürlich Quatsch. Theater muss immer ein Ort für Kunst bleiben. Nicht nur für Kleist und Goethe, sondern auch für Hip-Hop oder Streetdance. Das ist uns bei „King A“ gut gelungen. Straßentanz auf diesem Niveau ist auch eine Kunstform.

„Wir müssen die Identität der Stadt aufgreifen und uns fragen: Wonach sehnt sich das Publikum?“ (Klaus Siebenhaar)

Es gibt nicht das eine Publikum, es gibt ja auch nicht das eine Oberhausen. Unterschiedliche Menschen haben unterschiedliche Erwartungen, Ängste oder Hoffnungen. Ich kann nur an uns appellieren, lasst uns mit den Menschen reden und ihnen das Gefühl geben, dass wir ein Ort sind, an dem man gute, spannende und kontroverse Auseinandersetzungen führen kann und spannende Anregungen bekommt. Ein Ort, an dem man willkommen ist, um miteinander zu kommunizieren, mit den Mitteln des Theaters.

„Wir dürfen nicht nur in Schemen denken: Hauptrolle - Nebenrolle, Klassiker - Modernes. Und nicht nur auf der Bühne spielen, sondern wir müssen andere Spielorte erobern.“ (Stefanie Carp)

Bei unserer „Abseitsfalle“ hat das leider nicht so gut funktioniert, wie wir uns das gewünscht haben. Die Frage, wer soll in einer Stadt, die pleite ist, überleben, das Theater oder der Fußball, war natürlich bewusst absurd angelegt. Vielleicht war der Ort ein Problem. Es ist sicherlich attraktiver in den Gasometer zu fahren als in eine Turnhalle. Im Dezember wird es eine neue Produktion geben: „Ohne Kohle – und ob!“ Es geht um das Thema Migration, das wir mit der Geheimagentur umsetzen, einer Theatergruppe aus Hamburg. Den Ort für unser fiktives Beratungsbüro, in dem Migranten Menschen beraten, die Oberhausen verlassen wollen, suchen wir noch. Ich wünsche mir eine Spielstätte in der Nähe des Weihnachtsmarktes.

„Wir müssen Geschichten aus der Stadt erzählen, um sie zu erobern.“ (Klaus Siebenhaar)

Mit unserem Außenprojekt „Gelateria Götterdämmerung“ von Hans Peter Litscher in den Gesellschaftsräumen der Gutehoffnungshütte haben wir genau das gemacht. Wer wusste schon, dass Luchino Visconti in Oberhausen gedreht hat? Es hat mich sehr gefreut, dass Menschen, die normalerweise nicht ins Theater gehen, sich mehrfach für diese Geschichte interessiert haben. Mit Angela Richters „Liebe Deinen Untergang!“ versuchen wir im kommenden Frühjahr ähnliches. Das wird ein heiteres Projekt, auch wenn der Titel so traurig klingt. Ein anderes Projekt handelt von jemandem, der aus Hermannstadt stammt, im Ruhrgebiet lebt und wieder zurück will. Bernhard Mikeska wird Regie führen bei „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh’ ich wieder aus“.

„Junge Menschen haben ein Aufmerksamkeitsproblem. Sie können sich nicht konzentrieren.“ (Klaus Siebenhaar)

Bei unseren Arbeiten kennen wir das nicht. Am Anfang ist es in Vorstellungen mit Schülern und Jugendlichen vielleicht mal etwas giggelig und unruhig, wenn der Abend aber erst einmal läuft und man das Publikum hat, ist es erstaunlicherweise sehr gebannt und hoch konzentriert. Die Zusammenarbeit mit den Schulen ist für uns enorm wichtig. Wer als Jugendlicher nicht erlebt hat, dass es so etwas wie Theater gibt, der wird sich später nur sehr schwer dafür interessieren. Lehrer haben eine ganz große Verantwortung, dieses kulturelle Angebot den Schülern nahe zubringen und sie neugierig darauf zu machen. Es muss ja nicht alles gefallen, man muss aber wissen, dass es das gibt.

„Es muss auch das elitäre, freie, experimentelle Theater geben, das bildungsferne Schichten nicht erreicht.“ (Rita Thiele)

Elitär würde ich es nicht nennen, aber Experimente muss es natürlich geben. Die können ja sehr unterhaltsam sein. Die Frage ist nur, was man unter Unterhaltung versteht. Manche Dinge sind nicht auf den ersten Blick zugänglich und erst nach längerer Auseinandersetzung zu verstehen. Oft hat man dann emotional viel mehr davon.

„Der Anteil der Einnahmen aus dem Kartenverkauf am Gesamtbudget ist so gering, dass wir über freien Eintritt nachdenken sollten.“ (Stefanie Carp)

Als These sehr spannend, in der Praxis nicht durchführbar.

„Wir müssen das Theater als poetischen, magischen Verharrungsraum schützen und nicht jedem Zeitgeist hinterherlaufen.“ (Klaus Siebenhaar)

Das Theater darf nicht das gleiche anbieten wie das Fernsehen, dann schafft sich Theater ab. Wir dürfen aber auch nicht nur für Menschen mit Hochschulbildung oder Abitur interessant sein. Jeder Mensch, der eine sinnliche Neugier hat, ist eingeladen und kann an einem Theaterabend Freude und Spaß haben. Wir dürfen nicht Bildung voraussetzen, sondern Seelenbildung. Insofern hat Siebenhaar Recht, wir sind ein Raum, den die Gesellschaft sonst so nicht bietet. Für Menschen, die nur und ausschließlich lachen und leichte Witze haben wollen und sich dadurch gut unterhalten fühlen, was für mich völlig legitim ist, für diese Menschen wird 24 Stunden rund um die Uhr ganz viel Fernsehprogramm geboten. Da ist kein Mangel.