Oberhausen. .

Um dem drohenden Fachkräftemangel entgegen zu wirken, bietet das Freiherr-vom-Stein-Gymnasium als einzige Schule in Oberhausen speziellen Wissenschaftsunterricht an. Die Nachfrage ist groß.

Irgendetwas stimmt mit diesem Thermometer nicht. Der zehnjährige Valentin dreht den Metallstab mit dem eingelassenen Messinstrument in seiner Hand und runzelt die Stirn, bevor sein Zeigefinger nach oben schnellt: „Herr Dick, da sind keine Striche auf dem Thermometer. Wie sollen wir denn wissen, wann es 100 Grad sind?“ Dennis Dick, Biologie- und Erdkundelehrer am Freiherr-vom-Stein-Gymnasium (FvSG), hat mit dieser Frage gerechnet: Heute sollen die Fünftklässler selbst ein Thermometer eichen. „Und wie macht man das?“, fragt der 38-jährige Pädagoge in die Runde. „Wir könnten Wasser zum Kochen bringen und das Thermometer hineinstecken“, meint Muharem (10). „Dann wissen wir, wo wir den 100-Grad-Strich ziehen müssen.“

Und damit machen sich die 13 Schüler an die Arbeit: Einmal in der Woche können sie das tun, immer dann, wenn vier große Buchstaben in ihrem Stundenplan auftauchen. MINT steht für Mathematik und Informatik, Naturwissenschaften und Technik. „In diesem fächerübergreifenden Unterricht wollen wir das Interesse unserer Schüler für naturwissenschaftliche Sachverhalte fördern“, sagt Lehrerin Ulrike Kirschall, die den MINT-Unterricht am FvSG koordiniert. Und der funktioniert so: „Neugierig machen, experimentieren und dann theoretisieren.“ Dafür werden die Klassen geteilt und in kleineren Gruppen unterrichtet. Kirschall: „Das ist ein ideales Arbeiten.“

Große Nachfrage

Rund 140 Kinder der Klassen fünf und sechs nehmen an dieser freiwilligen Unterrichtsstunde derzeit teil, die neben dem regulären Stundenplan angeboten wird. Die Schüler müssen sich dafür bei der Anmeldung für das Sterkader Gymnasium bewerben. Die Nachfrage ist groß – anfangs gab es zwei, im jetzt laufenden Schuljahr sind es drei MINT-Klassen – auch, weil das FvSG die einzige Schule in unserer Stadt ist, die diese Form des Unterrichts anbietet.

Die Teilnahme an dem Kurs wird unter allen Anmeldungen ausgelost. Wer nicht dabei ist, kann immer noch sich am „Experiment des Monats“ beteiligen, dessen Ergebnisse auf der FvSG-Internetseite präsentiert werden.

„Der MINT-Unterricht ist sehr zu begrüßen“, sagt Hochschulberater Dietmar Merkel von der Arbeitsagentur, „weil dort das traditionelle Rollenverhältnis aufgebrochen wird.“ Wichtig ist ihm, dass über den spielerischen Einstieg vor allem mehr Mädchen für MINT-Berufe gewonnen werden können. Merkel arbeitet eng mit der Hochschule Ruhr West zusammen: Dort liegt der Frauenanteil in den MINT-Studiengängen zwischen drei (Maschinenbau) und zehn Prozent (Bauingenieurswesen). Hinzu kommt: Die Abbrecherquote in den MINT-Studiengängen liegt bei rund 38 Prozent.

Zu gleichen Teilen sollen die Geschlechter deshalb in den Kursen am FvSG vertreten sein: In der Gruppe von Dennis Dick sitzen heute acht Jungen und fünf Mädchen. Lara will später Tiermedizinerin werden, Biologie macht sie besonders gerne. Zu Hause hat sie ein Mikroskop: „Damit kann man kleinste Dinge sehen. Das finde ich toll.“

Test am Thermometer

Dennis Dick tritt an den Tisch der Mädchen heran, das Wasser in dem gläsernen Becher, den die vier auf eine Herdplatte gestellt haben, kocht: Die rote Flüssigkeit des Thermometers ist fast bis zum oberen Ende der kleinen Glasröhre gestiegen.

„Guckt euch genau an, wo ihr gleich den Stich ziehen müsst“, kündigt der Pädagoge an, umfasst das Messinstrument mit einer Holzzange und hält es dann vor die zehnjährige Mara, die mit ihrem Bleistift die 100-Grad-Marke setzt. Sekunden später zeigt die rote Flüssigkeit kaum noch die Hälfe an. Kein Problem: Denn als nächstes müssen die Kinder den Nullpunkt bestimmen. MINT-Lehrer Dick: „Ich hole schon einmal das Eis.“

Auf zehn Ruheständler kommen 2020 nur sieben junge Fachkräfte

Deutschlandweit verursachte der Mangel an MINT-Fachkräften 2007 einen Wertschöpfungsverlust von rund 18,5 Milliarden Euro. Wird das Interesse an diesen Berufen nicht größer, kommen laut einer Studie der Initiative „MINT Zukunft schaffen“ 2020 auf zehn Ruheständler nur sieben junge Fachkräfte.

Das Problem: Bisher wurden MINT-Themen im deutschen Bildungssystem eher stiefmütterlich behandelt. In Grund- und weiterführenden Schulen fehlte es an praxisnahem und fächerübergreifendem Unterricht. Seit Anfang des Jahrtausends gibt es bundesweite Versuche, das zu ändern: DerVerein mathematisch-naturwissenschaftlicher Excellence-Center an Schulen etwa zertifiziert Gymnasien und nimmt sie in ein Netzwerk auf. Rund 100 Schulen gehören bereits dazu, das Freiherr-vom-Stein-Gymnasium (FvSG) will sich ebenfalls bewerben.

Während Naturwissenschaften regulär getrennt voneinander und laut Curriculum nicht kontinuierlich unterrichtet werden, laufen im MINT-Unterricht alle naturwissenschaftlichen Fächer bei der Analyse von Naturphänomenen und komplexeren Prozessen zusammen. Eigenständiges, forschendes Lernen soll am FvSG bis in die Differenzierungsphase gefördert werden – ohne Zeit- und Leistungsdruck, denn Noten und Hausaufgaben gibt es in diesem Fach nicht. „Den Lehrplan haben wir selbst erarbeitet“, sagt Dennis Dick, der seit 2007 am FvSG unterrichtet und die Entwicklung des MINT-Fachs von Anfang an begleitet hat.

10 Euro zahlen die Eltern pro Halbjahr für Exkursionen in Wirtschaft und Forschung und für Materialien. Mit Hilfe des Fördervereins hat die Schule außerdem mehrere Experimentenkoffer anschaffen können.