Am Sonntag, 26. September, wird Stadtdechant Dr. Michael Dörnemann (41) mit einem Gottesdienst in Herz Jesu (11.30 Uhr) verabschiedet. WAZ-Redakteur Thomas Schmitt sprach mit dem Pfarrer der Großpfarrei, zu der auch die Gemeinden St. Antonius und St. Joseph gehören, über seine Arbeit in den vergangenen Jahren.

Nach vier Jahren verlassen Sie Oberhausen. Es gibt Menschen, die sich bestätigt fühlen und sagen, Sie seien ein Karrierist. Was sagen Sie denen?

Michael Dörnemann: Karriere kann man nicht planen. Bislang war es so, dass alle Aufgaben, die ich wahrgenommen habe, an mich herangetragen wurden. Das heißt: Andere trauen mir etwas zu. Wenn jemand promoviert ist, hat er schnell den Ruf, eigentlich etwas anderes zu wollen. Ich wäre gern in Oberhausen geblieben, weil viele Dinge auf den Weg gebracht worden sind.

Welche?

Das Bündnis gegen den Sozialabbau mit Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbänden oder die Initiative zu den Sonntagsöffnungszeiten. Ich hoffe, dass es bald auf Landesebene eine generelle Regelung gibt, damit die Konkurrenzsituation der einzelnen Ruhrgebietsstädte nicht mehr die Rolle spielt, die sie bisher gespielt hat.

Wozu sind Sie nicht gekommen?

Eine stärkere Zusammenarbeit mit dem Theater aufzubauen.

Was haben Kirche und Theater gemeinsam?

Das Theater will das Leben in seiner Vielseitigkeit aufzeigen, das Leben deuten und einen Sinn vermitteln. Und das ist genau auch das, was Kirche mit der Botschaft des Evangeliums vermitteln will. In 2000 Jahren Kirchengeschichte hat es immer eine enge Verzahnung von Kirche und Kunst gegeben. Selbst moderne Künstler beschäftigen sich mit der Kirche. Nehmen Sie Schlingensief.

Er kritisierte häufig die Kirche.

Natürlich hat er sich an dogmatischen Formen der Kirche gerieben und auch dagegen protestiert, dennoch hat er sich mit kirchlichen Themen auseinandergesetzt. Mit den Themen Glaube, Vertrauen, Angst, Krankheit, Heilung, Tod, Sterben, Auferstehung, Erlösung, all diese Themen kommen in der Kunst ständig vor. Die Kunst beantwortet sie oftmals anders als die Kirche, aber ich glaube, im Gespräch miteinander kann da viel Fruchtbares entstehen. Auf der einen Seite die Kirche mit ihrer Botschaft und Tradition, auf der anderen die Kunst, die uns die Lebenswirklichkeit der Menschen von heute widerspiegelt.

Wie bewerten Sie Ihre Arbeit als Pastor von Herz Jesu?

Die Aufgabe des Pastors ist ja zunächst die Seelsorge vor Ort. Menschen in Lebenswenden zu begleiten: bei der Taufe, bei Hochzeiten, wenn sie Angehörige zu Grabe tragen. Das ist auch in meiner Tätigkeit als Stadtdechant nicht zu kurz gekommen und war für mich eine reiche Erfahrung. Das gilt auch für das gemeinsame Feiern von Gottesdiensten oder die konkrete Gemeindearbeit. Zum Beispiel die kirchenmusikalischen Schwerpunkte, die wir gesetzt haben. Da sind häufig 400 bis 600 Menschen in die Kirche gekommen.

Ansonsten werden es aber stetig weniger, oder?

Wir verlieren innerhalb der Innenstadtgemeinde pro Jahr 120 Katholiken. In der Großpfarrei haben wir innerhalb von drei Jahren 1000 Katholiken verloren.

Hat das mit den Missbrauchsfällen und der Haltung des Bischofs zu Homosexuellen zu tun?

Hauptgrund ist die demographische Entwicklung, der Sterbeüberschuss. Hinzu kommen Wegzüge. Viele Katholiken sind Richtung Schmachtendorf, Königshardt oder zum Niederrhein gezogen.

Die Straftaten von Priestern, die Haltung des Papstes und seiner Bischöfe spielen keine Rolle?

Ich kenne einen konkreten Fall eines Gläubigen, der sagt, jetzt ist das Maß voll. Wenn die Themen Missbrauch, Sexualität oder Zölibat die eigentlichen Gründe für Austritte wären, dann müsste ja, wenn Glaube diesen Menschen wichtig ist, die evangelische Kirche rapide zunehmen. Richtig aber ist, dass wir unsere Probleme ohne Tabus redlich und ehrlich miteinander bereden müssen. Im Zentrum aber steht unsere Kernbotschaft: Hoffnung über den Tod hinaus zu machen und ein Wertesystem zu leben, wo der Schwache nicht außen vor bleibt, sondern gestützt und gestärkt wird. Das bezeichnen wir als Nächstenliebe. Vieles an karitativer und sozialer Arbeit geschieht ehrenamtlich von Menschen, die einen christlichen Hintergrund haben. Das müssen wir stärker herausstellen.

Wäre es nicht an der Zeit, Frauen stärker einzubinden, auch als Priesterinnen?

Schon heute spielen Frauen eine wichtige Rolle, im Gottesdienst, als Kommunionhelferinnen, bei Ministrantendiensten oder als Theologinnen. Das sollte man nicht unterschätzen. Das Amt des Pfarrers ist nicht das Zentrale. Uns soll es als Christen darum gehen, in der Nachfolge Jesu zu leben. Veränderungen sind aber auch an der Basis ein schwieriger Prozess. Wenn Menschen vor Ort die Gemeindereferentin zwar gerne bei ihren Sitzungen sehen, aber doch lieber den Pastor dabei haben wollen, das gilt selbst für Frauenverbände, dann sehen Sie, dass die Stellung der Frau in der Kirche nicht nur eine Frage ist, die Papst und Bischöfe beantworten müssen, sondern auch die Basis.

Hat sich der Zölibat nicht längst überholt?

Es hat immer Menschen gegeben, die gesagt haben, das Reich Gottes und die Arbeit für Jesus Christus und für die Menschen ist uns so wichtig, dass wir auf die Ehe verzichten. Die entscheidende Frage ist, ob der Weltpriester zölibatär leben muss. Ich warne davor, die zölibatäre Lebensform als widernatürlich zu bezeichnen. Das ist Quatsch. Nehmen sie Mutter Theresa, sie ist in ihrer Arbeit trotz ihrer Gotteszweifel aufgegangen. Solche Typen wären ohne zölibatäre Lebensform gar nicht denkbar. Der Zölibat hat einen Wert.

Wie sieht der Pfarrer Dörnemann sein Wirken in Oberhausen?

Die Zusammenlegung der Gemeinden war schwierig, jetzt aber gibt es hoffnungsvolle neue Aufbrüche. Menschen aus unterschiedlichen Gemeinden gehen aufeinander zu und starten neue Projekte. Der Pfarrgemeinderat Herz Jesu beispielsweise schaut sich intensiv die katechetische Arbeit an. Auch die Zusammenarbeit mit dem City-Management in Fragen der Kinderarmut und die enge Verzahnung mit Kindergärten, Caritas und Jugendamt ist gut und sehr wichtig.

Welche Marke haben Sie als Dechant gesetzt?

In nur zwei Jahren eine Marke zu setzen, ist schwierig. Ich habe innerhalb der Religionen der Stadt, mit Muslimen, mit der liberalen jüdischen Gemeinde oder den anderen christlichen Konfessionen enge Kontakte geknüpft, auf die mein Nachfolger gut aufbauen kann. Die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften und politischen Parteien ist gut.

Wann starten Sie in Essen?

Am 29. September wird es zur Einführung einen Gottesdienst im Dom geben.

Wie sieht Ihre Arbeit als Leiter des Dezernates Pastoral aus?

Es geht um die pastorale Arbeit in den Gemeinden und ihren Lebensräumen im Bistum Essen. Dazu gehört die Begleitung der ehrenamtlichen Gemeinderäte ebenso wie die der hauptamtlichen Seelsorger. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Einzelfallseelsorge, also die Arbeit der Priester in Krankenhäusern, Gefängnissen, bei der Polizei und der Notfall-, Studenten oder Jugendseelsorger. In Zeiten, da Gesellschaft immer individualisierter wird, muss sich Kirche darauf einstellen, vieles können die Gemeinden nicht mehr leisten.

Werden Sie künftig selbst noch Zeit haben für die Seelsorge?

Ich wohne in der Gemeinde Dionysios in Essen-Borbeck und werde dort vielleicht auch mal aushelfen. In erster Linie aber werden priesterliche Dienste im Bereich des Domes anstehen. Und als Springer werde ich im Bistum aushelfen.

Werden Sie Mitarbeiter mitnehmen, zum Beispiel ihre Referentin?

Nein, wichtig ist, dass es hier Kontinuität gibt. Sicher es gibt es immer wieder Stellenwechsel, aber derzeit ist ein Wechsel eines Mitarbeiters nicht vorgesehen.

Welche Berührungspunkte werden Sie mit Oberhausen haben?

Ich bin wie mein Vorgänger zu Gesprächen und Vorträgen zu Glaubensthemen immer bereit. Das Kirchenzentrum im Centro spielt im Bistum eine große Rolle. Wir überlegen gerade eine stärkere inhaltliche Anbindung an das Dezernat.

Welche Baustellen sehen Sie vor Ort als dringend an?

Ich bin in dieser Region groß geworden, zwischendurch war ich in Duisburg und Bochum. Die Region hat ganz viel an kultureller Verschmelzung, das ist eine Vielfalt, die ich schätze. In Oberhausen ist ganz viel möglich. Bei der Innenstadt aber habe ich die Sorge dass sie kippt. Politik und Menschen, auch die Kirche, müssen sich anstrengen, dass das nicht passiert.

Woran machen Sie das Kippen fest?

Wenn Sie die Menschen in ihrer Armut sehen, das ist erschreckend.

Wie kann Politik helfen? Was raten Sie?

Die Stadt muss bei allen Zwängen, die Kommunalaufsicht, Land und Bund ausüben, aufpassen, dass sie nicht um jeden Preis eine Verwaltung aufrecht erhält, die für 300.000 Bürger ausgelegt ist. Auch wir haben als Kirche in den letzten fünf Jahren schmerzlich erleben müssen, wie man einen solchen Wasserkopf abbaut. Aber das Geld, das man so einspart, kann man an anderen Stellen für die Menschen einsetzen. Wichtig ist die Frage, wofür setze ich was ein? Mache ich Prestigeobjekte oder investiere ich in nachhaltige Projekte für die Menschen, in Alleinerziehende oder Hartz-IV-Empfänger?

Welches verzichtbare Prestigeobjekt fällt Ihnen ein?

Ich frage mich ernsthaft, ob der Umbau des Bert-Brecht-Hauses und des Saporischa-Platzes wirklich notwendig waren.