Mentosverpackungen, Chiquita-Kartons, Haribotütchen, Einkaufszettel – es gibt allerlei zu entdecken in den bunten Wänden des „Papierhaus PH-Z2“ auf dem Gelände des Weltkulturerbes Zeche Zollverein in Essen. Anerkennend wandern die Blicke der Gäste während der Eröffnung über die aufeinander gestapelten Altpapierballen, die das Mauerwerk bilden. Eine äußerst lebendige Oberfläche.
Wertstoff Altpapier
„Das sind Verpackungsmaterialien aus dem Supermarkt – die Logos und Schriftzüge kennt jeder“, erklärt der Oberhausener Architekt Ben Dratz, der das Papierhaus zusammen mit seinem Bruder Daniel entworfen hat. Kein Wunder also, dass sich Jürgen Fischer, Programmdirektor der Ruhr 2010, im Papierhaus an seine Kindheit erinnert fühlt: „Hier findet sich die bunte Warenwelt von draußen wieder.“
Aber wie kommt man auf die Idee, ein solches Papierhaus zu bauen? Auf einem Recyclinghof entdeckten die Brüder Dratz gestapelte Altpapierballen. „Von der Ästhetik und dem Patchwork an verschiedenen Farben waren wir unglaublich fasziniert“, schwärmt Ben Dratz. Und die Ballen erinnerten sie an Mauerwerk. „Da müssen wir was draus machen“, hätten sie sich gedacht.
Diese innovative Idee, Altpapier als Baustoff zu verwenden, findet Anklang: Im Jahr 2007 gewann das Projekt den Architekturwettbewerb „Mobile Working Spaces“, nun ist es ein offizielles Projekt von Ruhr 2010. „Das Papierhaus ist zukunftsweisend“, lobt Hermann Marth, Vorsitzender der Stiftung Zollverein. „Es passt genau hierhin, es passt genau in diese Zeit.“
Altpapier als Baustoff, nicht als Abfall – ein ganz neuer Ansatz. Es wurde fleißig experimentiert, getestet, ausprobiert. Wie viel Druck halten die Papierballen aus? Wie schützt man das Bauwerk vor Feuchtigkeit? Wie sieht’s aus mit dem Brandschutz?
„Anfangs sind wir zum Supermarkt gefahren, haben das Auto mit Kartons vollgestopft und sie in der Werkstatt mit einer Handpresse zusammengedrückt“, erzählt Ben Dratz. Auch am Recyclinghof hätten sie mit den Ballen experimentiert. „Manche haben uns angeschaut, als hätten wir sie nicht mehr alle“, lacht Ben Dratz. Ihre Konstruktion haben die beiden Architekten zum internationalen Patent angemeldet. „Wir wollen den Baustoff Altpapier zur Marktreife bringen, als Alternative zu herkömmlichem Material.“
Und was nun?
Das Papierhaus in seiner ganzen Pracht ist in der künftigen „Designstadt“ auf Zollverein zu bewundern. Zwar wurde die Fertigstellung des Bauwerks durch den harten Winter, durch ständige Regenfälle und zwei Orkane verzögert, doch die Mühen haben sich gelohnt. „Alleine die Idee ist toll“, lobt der Oberhausener Klaus Kowa. „Dass sich junge Leute an so etwas heranwagen – da kann man nur Glückwunsch sagen“.
Und wie geht’s nun weiter mit dem Gebäude aus Papier? Gedacht ist es als Multifunktionshaus, das für Modenschauen, Pressekonferenzen, Ausstellungen und andere Events genutzt werden kann. Ende 2011 wird es dann wieder im Altpapier landen.
Denn Ben und Daniel Dratz setzen dem Projekt eine zeitliche Grenze: Sie leihen sich die Materialien aus dem Wertstoffkreislauf, um daraus Gebäude zu bauen. Und die können später wiederum zu 100 Prozent recycelt werden.