Trinkgeld-Skandal hat Folgen: Interclean-Frauen dürfen nicht mehr putzen. Sie bewachen das Trinkgeld, werden beschimpft.
Von der Reinigungskraft zur Sitzfrau mit Bewachungs- und Putzaufgaben zur Telleraufsicht: Der berufliche Werdegang von Helga K. (Name geändert), die im Toilettenbereich des CentrO als Beschäftigte der Gebäudereinigungsfirma Interclean arbeitet, ist ein Trauerspiel. „Als ich vor vier Jahren eingestellt wurde, habe ich eine Zone zugeteilt bekommen und 7,80 Euro verdient. Im August 1986 haben wir neue Arbeitsverträge unterschrieben. Als Sitzposten habe ich seitdem nur noch 4,75 Euro verdient, brutto”, erklärt Helga K.
Als Sitzposten? Hatte sie denn keine Reinigungsaufgaben mehr zu erledigen? „Natürlich. Jede Viertelstunde Brillen abwischen, Papier aufheben, Becken säubern, Wasser vom Boden aufwischen. Aber seitdem das mit dem Trinkgeld in der Zeitung stand, dürfen wir das nicht mehr machen. Wenn jetzt etwas schmutzig ist, müssen wir die Toiletten zuschließen” – und abwarten, bis einer der acht noch als Reinigungskraft Beschäftigten vorbeikommt. Weil die aber – seitdem die 17 „Sitzkräfte” ausschließlich damit beauftragt sind, die Trinkgeld-Teller zu bewachen und nicht mehr beim Putzen helfen – überlastet sind, kommt's zu Ärgernissen. „Wir werden beschimpft. Die Leute verstehen nicht, dass wir nicht eingreifen, wenn zum Beispiel Wasser auf dem Boden ist. Die denken, dass wir nur rumsitzen und unsere Arbeit nicht machen”, ergänzt Sabine B. „Früher hieß es: Wasser auf dem Boden ist eine Gefahr für die Gäste.” Manfred M.: „Mir sind schon Schläge angedroht worden.”
Zur Erinnerung: Die Meldung, dass das Trinkgeld nicht dem Personal, sondern der Firma zugute kommt, hatte die Öffentlichkeit ebenso empört wie die Tatsache, dass Interclean 17 Frauen, die sehr wohl reinigten, den Mindestlohn, der in der Branche bei 8,15 Euro liegt, nicht zahlte. Ihn aber rückwirkend einzuklagen, so Zeynep Bicici, Gewerkschaftssekretärin der IG Bau Mülheim-Essen-Oberhausen, sei laut Tarifvertrag wegen der Verfallsfrist maximal für die letzten zwei Monate möglich. Erschwerend komme hinzu, dass Interclean mit Kündigungen gedroht habe, sollte sich jemand aufs Klagen einlassen. Die Degradierung zur Trinkgeld-Aufsicht sieht die Gewerkschafterin als Vorbeugungsmaßnahme an. „Damit es schwieriger wird zu beweisen, dass die Frauen bis vor kurzem putzen mussten.”
„Das ist ein Stück weit Berufsverbot”, urteilt Gewerkschatssektetär Bernd Neumann. „Der Arbeitgeber hat Angst, dass er den Mindestlohn zahlen muss.” Der Umgang mit den Trinkgeldern – nach Schätzung der Reinigungskräfte immerhin pro Zone bis zu 200 Euro pro Tag, während der Weihnachtszeit ein Vielfaches davon – hält Neumann für „ein Paradebeispiel für Steuerhinterziehung”. Er schimpft: „Jede Kellnerin wird vom Finanzamt geschätzt und hier wird das Geld mit Putzeimern zum Tresor abgefahren. Es stellt sich die Frage: Warum war das Finanzamt noch nicht da?