In vielen Nachrufen auf den am Samstag 49-jährig in Berlin verstorbenen Künstler wird heute vom „Mülheimer“ Christoph Schlingensief zu lesen sein. Stimmt nicht: Christoph ist in Oberhausen geboren, am Altmarkt aufgewachsen, hat das Abitur am Heinrich-Heine-Gymnasium gemacht und hier auch seine ersten künstlerischen Gehversuche.

Mülheim kommt später ins Spiel, als er Assistent des Kurzfilmers Werner Nekes war. Aber Heimat war Oberhausen, hier musste er vor wenigen Jahren seinen Vater begraben, hier weint seine hochbetagte Mutter um ihn.

Modellbahn explodierte
für einen Western

Die künstlerische Zukunft lag möglicherweise im Weihnachtsgeschenk von 1971 begründet: Die Schmalfilmkamera beschäftigte fortan, und es blieb nur kurz bei Familienaufnahmen. Als 13-, 14-Jähriger gründete er mit Klassenkameraden die hochtrabend „AFC 2000“ abgekürzte „Amateur-Film-Company“ und zerstörte seine Modelleisenbahn, als er mit reichlich Schwarzpulver aus Feuerwerkskörpern einen Zug explodieren ließ – Schlingensief drehte einen Western.

Mit 16 oder 17 inszenierte er während der Herbstferien in einem Steinbruch am Freilichtmuseum Kommern (nie zuvor hatte dort jemand eine Drehgenehmigung erhalten!) einen kurzen Spielfilm. Stammgast war er schon bei den Kurzfilmtagen, erst zuhörend, dann mitdiskutierend, munter provozierend, auf sich aufmerksam machend. Christoph hatte dabei jenen Charme, dem nicht zu entgehen ist, der ihm half beim Zurechtfinden in unübersichtlich gelagerten Kultur-Sphären. Selbst im hektischen Berlin. Dieser Charme war keine Attitüde, sondern entsprang einer tiefen Freude am Leben, einer tiefen Freundlichkeit zum Mitmenschen.

Seine Heimatstadt fand nie – anders als andere Städte – einen Preis, eine Auszeichnung für ihren großen Sohn. Vielleicht bringt man eine Plakette am Haus der Industrie-Apotheke an der Stöckmann­straße an. Dort ist er aufgewachsen, hat gelebt und gefilmt. Adieu Christoph.