„Wir haben 16 Einzelzimmer.“ Wenn Norbert Kikol (60) das so sagt, denkt man an ein nettes kleines Hotel. Doch der Polizeihauptkommissar spricht von etwas ganz anderem. Vom Gewahrsam, in das pro Jahr etwa 1600 Menschen eingeliefert werden.
Von den 16 Zellen mit ihren schweren Eisentüren mit diversen Schlössern, Riegeln und den obligatorischen Klappen zum Gucken und fürs Essen sind fünf zur Ausnüchterung und Beruhigung gedacht. Wenn ein Betrunkener randaliert, pöbelt, einfach nicht vernünftig werden will, kann er schon mal in einem dieser Zimmer des Polizeipräsidiums am Friedensplatz landen. Genauso jemand, der sturzbetrunken hilflos irgendwo herum liegt. Wobei, wenn es einem Menschen nicht gut geht, immer abzuwägen ist, ob der Betroffene nicht in einem Krankenhaus besser aufgehoben ist. „In solchen Fällen ziehen wir einen Arzt hinzu“, sagt Kikol, der Leiter der Dienststelle.
Ein Drittel der Leute, die jährlich Bekanntschaft mit dem Polizeigewahrsam schließen, landet in diesen Beruhigungszellen. Der Rest der „Gäste“ der Polizei sind meistens Männer, die wegen irgendwelcher Straftaten festgenommen wurden.
So ein Betrunkener muss sich schon auf eine spartanische Zeit der Ausnüchterung einstellen. Ein Zementblock — immerhin ist er beheizt — dient als Bett. Eine Decke gibt es noch dazu. Für die Notdurft existiert ein metallener Abort am Boden, der nicht sehr einladend wirkt. Und Kikol erzählt, auf was für Ideen die Betrunkenen kommen. „Einer hat mal die Decke in den Abort gestopft und die ganze Zeit das Wasser laufen lassen.“ Eine Überschwemmung war die Folge. Die Reinigungskräfte, die diese gekachelten Unterkünfte säubern, bekommen eine Zulage, wenn die Zellen besonders verschmutzt sind. Übrigens verweilen die Süppel im Schnitt vier Stunden in ihrem „Gästezimmer“ bei der Polizei.
Szenenwechsel: Blick den langen, schmalen Flur hinunter. Links die Zellen. Rechts in regelmäßigen Abständen unscheinbare Leisten an den Wänden. Alarmleisten sind das. Wenn hier einer randaliert und die zwei diensthabenden Beamten Unterstützung brauchen: In 15 Sekunden sind ihre Kollegen da.
Die Zellen für die Tatverdächtigen sind in einem Rosa gestrichen, das wissenschaftlich erprobt beruhigend wirken soll. Es wirkt eher gelblich. In diesen Zellen gibt es nur Betten. Aber dafür Bettzeug für die Decken. Und hoch oben vor Kopf des Raumes ein vergittertes Minifenster mit Blick auf die gegenüberliegenden Häuserfronten, ein Stück Himmel. Kellergefühle, obwohl das hier gar nicht der Keller des Gebäudes ist. Die Zukunftsaussichten der Männer, die hier landen, der Anteil der Frauen liegt bei nur bis zu 20 Prozent, sind nicht rosig. Stellt der Haftrichter einen Haftbefehl aus, dann geht es in Untersuchungshaft, bleibt ihr Zuhause eine überschaubare Zelle.
Während auch Ältere gerne mal einen über den Durst trinken, sind es fast nur jüngere Leute bis zu 30 Jahren, die wegen Straftaten im Gewahrsam landen. Meist wegen Drogendelikten. Hier sind sie dann untergebracht, bis der Erkennungsdienst sich mit ihnen beschäftigt hat oder sie dem Haftrichter vorgeführt wurden. Das Zimmer des Haftrichters ist auch so ein kleines mit zwei hochliegenden Gitterfenstern.
Jede Zelle hat übrigens eine Nummer. Zu jeder Zelle mit Nummer gehört eine Kiste mit derselben Zahl. In diese Kisten kommen alle Habseligkeiten der Gefangenen, die sie als Waffen nutzen oder mit denen sie sich selbst etwas antun könnten. Die Männer und Frauen, die hier landen, werden zu ihrem eigenen Schutz übrigens auch regelmäßig kontrolliert. „Wir hatten hier auch Suizidversuche, aber zum Glück keinen mit tödlichem Ausgang“, ist Kikol froh.
Zum Polizeigewahrsamsdienst, wie es korrekt heißt, gehören mit dem Dienstellenleiter Norbert Kikol neun Beamte. Davon haben jeweils zwei Dienst.
Die Leute, die in den Zellen landen, dürfen nicht länger als 48 Stunden festgehalten werden. Übrigens werden alle durchsucht, ehe sie in der Zelle landen. Frauen dürfen natürlich nur von Frauen durchsucht werden. Das machen dann Beamtinnen vom Tourendienst.
Wer länger bleibt, der bekommt selbstverständlich auch seine drei Mahlzeiten am Tag. Das Essen wird aus der benachbarten Zweigstelle der JVA geliefert. Im klassischen Henkelmann und „nur mit einem Löffel“, so Kikol.
Seit das Gewaltschutzgesetz geändert wurde, die Beamten auch gehalten sind, häusliche Gewalt zu verfolgen, sind es auch immer mehr renitente Ehemänner, die im Gewahrsam landen. Etwa, wenn sie sich nicht an das zehntägige Rückkehrverbot halten, das die Polizei aussprechen kann, wenn Männer gegenüber Frauen gewalttätig wurden.
Seltener geworden sind dagegen die „Stammkunden“, die es unter den Nichtsesshaften gab. „Wir hatten sogar mal einen hier, der wollte in eine Zelle, wir haben das abgelehnt, weil es keinen Grund dafür gab“, erzählt Kikol. Da habe der Mann gegenüber im Haus ein Fenster eingeschlagen. Und damit hatte er sein Bett im Gewahrsam.