„Im Hellen ist das genauso gruselig.“ Anja Gertz schiebt sich an einem höhnisch grinsenden Gummimann vorbei. Weit aufgerissene Augen hat er – die hat auch Anjas Gatte: Völlig unbeeindruckt von der Horrorszenerie schaut Andreas Gertz über Ronny Schützes Schulter, der aus dem Wartungsbuch seiner Geisterbahn „Schloss Dracula“ vorliest: „Hier wird jede Wartung festgehalten und jede lockere Schraube dokumentiert.“
Eine davon zieht ein Mitarbeiter fest, als sich neun WAZ-Leser an ihm vorbeidrücken: Gemeinsam mit Ronny Schütze, dem Vorsitzenden der Oberhausener Schausteller, blicken sie an diesem Samstag hinter die Kulissen der Fronleichnamskirmes – oder auch „Kirchweih, wie wir sagen“, meint Jürgen Wallner. Der Bamberger ist zu Gast bei Heinz Günter Eul, der als eingefleischter Kirmesfan für die Backstage-Tour sogar den Day of Song schwänzt. „Kirmes ist wichtiger“, sagt Eul und will Ronny Schütze gerade etwas fragen, da klopft ihm der Schausteller auf die Schulter: „Da hinten, das ist meine Tochter.“
Emily Schütze tritt aus dem Kassenhäuschen der „Berg- und Talbahn“, als ihr die Schaulustigen entgegenkommen. „Für dieses Karussell bin ich zuständig“, sagt die junge Frau, als sei es ganz normal, dass jemand zum Schulabschluss ein Fahrgeschäft im Wert von 280 000 Euro bekommt. „Ich habe es nur übernommen.“ Seit ihrem sechsten Lebensjahr sei sie mit der Familie unterwegs, so Emily, und meint damit nicht nur die Schützes: „Wir Schausteller sind alle eng miteinander befreundet.“
„Und wie ließen sich Reisen und Schule miteinander vereinbaren?“, will WAZ-Leserin Anne Schmuck wissen. „Alle zwei Wochen bin ich zu einer anderen gegangen“, sagt Emily, bevor ihr Vater die Truppe zur Enzian-Hütte führt.
„Was, ein Bayer ist bei uns?“ Besitzer Heinz Kleer schiebt dem Gast ein Schwarzbier zu. „Du weißt ja, was gut ist.“ Das weiß Jürgen Wallner: „Das hier ist besser als das Oktoberfest“, flüstert er Schütze zu. Der muss lachen, auch weil er einen Bekannten entdeckt hat: Bis gerade hat Karl Römer geschäftig an seinem Stand gewerkelt. Doch kaum hat er Schütze und seine Gäste entdeckt, da schwingt sich der ältere Mann auf den blechernen Tresen und stellt sich schlafend. Nur sein Grinsen verrät ihn.
Nach einem kurzen Wüstenritt an der Kamelrennbahn von Guido von der Gathen will die Truppe nur eins: Wasser… Wasser? „Ah, da kommt ja Wasser raus“, schreit Ann-Kathrin Achterfeld auf und springt an der Fontäne vorbei, die sich unter einem Stahlgitter versteckt – nur um auf einer wackeligen Brücke zu landen: „Vorsicht“, ruft Dennis Hartmann, Besitzer des brandneuen Laufgeräts „Krumm- und Schiefbau“. Zwischen Stangen hindurch und über sich drehende Bodenbelage hangelt sich die Schülerin. Im Gefolge: Hartmann, der erzählt, wie er mit seinen Brüdern sechs Monate an dem Gerät gearbeitet hat. „Am Mittwoch war Premiere.“ – „Und wohin geht es jetzt?“ – „Nach Gevelsberg.“
Und für uns zwei Stände weiter: Ein Kirmesrundgang, ob Backstage oder nicht, wäre nicht vollkommen ohne Schmalhaus-Eis. Was denn die geheime Zutat sei, will einer von der jungen Eisverkäuferin wissen. Sie schüttelt lachend den Kopf und reicht jedem ein Hörnchen Sahneeis. „Die kennt nur der Chef.“ Geheimnis bleibt Geheimnis.
„Was auch immer es ist“, murmelt Anja Gertz: „Es schmeckt einfach gut.“ Man ist sich einig: Nicht jedes Geheimnis der bunten Kirmeswelt muss gelüftet werden.