Oberhausen. .

Der Gong schlägt Mitternacht: im Oberhausener Gasometer: Unter dem größten Mond auf Erden übertönen in dieser Nacht Gregorianische Choräle und Melodien jeden Güterzug und jede Straßenbahn.

Eine Geige singt den Mond an, fast schüchtern und flehend, dann fordernd verschwimmt ihre Stimme in einer ganzen Klangstadt, die sich wie Motten ums Licht unter der Kuppel versammelt – um plötzlich zu verstummen. Sekunden hängt der Nachhall im Gasometer, bevor er sich mischt mit den ersten Stimmen des Philharmonischen Kammerchors Essen.

„Spem in Alium“ heißt das Mitternachtskonzert, mit dem Alexander Eberle, künstlerischer Leiter des Abends, den Day of Song eingeläutet. Ein Konzert der Weltreligionen hatte er sich vorgenommen. Es wurde: ein Konzert, wie es der Gasometer noch nicht gehört hatte.

Unter dem größten Mond auf Erden, der bereits seit April 2009 im Rahmen der Ausstellung „Sternstunden“ im Gasometer hängt, übertönen in dieser Nacht Gregorianische Choräle und Melodien jeden Güterzug und jede Straßenbahn. ­Die Pausen zwischen den Stücken fallen dank des Nachhalls dieses einmaligen Klangkörpers nie auf – ein gut koordinierter Abend von hervorragender Qualität.

Uraufführung: Buddhistische Gesänge zu Siddhartha

Klänge unter dem größten Mond auf Erden.
Klänge unter dem größten Mond auf Erden. © WAZ FotoPool

Auch zu Matthias Bonitz’ Buddhistischen Zeremoniengesängen bleibt die Außenwelt ungehört: Bonitz hatte sie eigens für diesen Abend auf seine Komposition „Siddhartha“ geschrieben. Ein Willkommen heißendes und feierliches Arrangement hat er kreiert, in dem Cellist Ulrich Mahr seine Stimme immer wieder über das meditative Bass-Brummen des Chors erhebt, um Sekunden später von der Masse übertönt zu werden: Ein Lobgesang, der die kühle Luft im Gasometer vibrieren lässt.

Es fehlt, so viel muss man sagen, die muslimische Musik. Eberle hatte bereits im April angekündigt, dass er an dieser Lücke arbeite. Sie bleibt – fällt aber nicht auf zwischen dem Vokalensemble Victor Gerassimez und dem bewegenden Sang einer Mimi Sheffer.

Zum Schluss verstummen auch die Güterzüge

Die Kantorin der jüdischen Gemeinde Berlin spielt wie keine andere mit dem Raum, lässt ihre Stimme mit dem Nachhall des Männerchors verschmelzen, ohne darin unterzugehen. In ihrem roten Ballonkleid ist die Opernsängerin der einzige Farbklecks in dieser Nacht. Ihr Synagogalgesang bleibt über das eigene Echo hinaus präsent.

Und das Publikum auffallend still: Vielleicht war der ein oder andere eingenickt zu der späten Stunde. Einige schleichen sogar verfrüht und schlaftrunken hinaus und verpassen den nächtlichen Höhepunkt dieses Tages: „Spem in Alium“, ein Zwiegespräch zwischen Gemeinde und Prediger, zu dem sich 40 Sänger um wenige Cellisten aufbauen. Gemeinsam verbinden sie in einem bemerkenswerten Spiel mit dem Klangkörper Gasometer diese 400 Jahre alte Komposition des Briten Thomas Tallis mit Oberhausener Industriekultur. Ein Austausch, der in einer einigenden Note kulminiert: Da verstummen sogar die Güterzüge.

Es endet, wie es begann: Mit einem Gongschlag und einer Geige. Nicht ganz: Ins Echo mischte sich dieses Mal minutenlanger, begeisterter Applaus.