Die Fronleichnamskirmes ist ein Magnet. Menschenmassen wälzen sich alljährlich über den Rummel und damit durch Sterkrade. Womit man schnell bei der Frage wäre: Wie empfindet eigentlich der Sterkrader seine Kirmes?
„Kirmes ist eine tolle Sache“, gibt sich Robbie Schlagböhmer enthusiastisch. Um gleich bedauernd hinzuzufügen: „Leider bin ich dieses Jahr nicht da.“ Dieses Jahr gibt der Geschäftsmann und Vorsitzende der Sterkrader Interessengemeinschaft Griechenland den Vorzug. Aber „Kirmes“ ist für ihn „ganz wichtig“. Schlagböhmer: „Es kommen sehr viele Leute aus dem Umland, die sehen, was für schöne Geschäfte es in Sterkrade gibt. Er setzt auf Nachhaltigkeit, darauf, dass die Besucher zu Sterkrade-Wiederholungstätern werden.
Seine Kunden allerdings hält der Rummel eher ab. Was er gelassen betrachtet: „Die Kunden besuchen uns vor oder nach der Kirmes verstärkt, die Umsätze verlagern sich lediglich.“ Und einen Vorteil hat die leichte Flaute des Geschäftlichen. „Unsere Mitarbeiter haben dann mehr frei.“ Klar, da können sie über die Kirmes gehen. Was Schlagböhmer selbst auch sehr gern tut. Da verpasst er diesmal das Riesenrad, dem er in seinem Alter gegenüber der Achterbahn den Vorzug geben würde, wie der 44-Jährige erklärt.
Hermann Bruckmann ist kein Geschäftsmann. Der 59-Jährige wohnt einfach nur an der Ramgestraße im Dunstkreis des Großereignisses. Ja, auch er ist ein Fan. Sagt jedoch gleichzeitig: „Auf den Straßen herrscht hier während der Kirmes die Anarchie.“ Jeder fahre wie er wolle. „Wenn ich mit meinem Auto zu meinem Haus möchte, denken die Leute, ich wolle direkt auf die Achterbahn fahren“, vermutet Bruckmann. Jedenfalls guckten die Fußgänger immer so. Und nur selten erbarme sich einer der über die Straße im Menschenstrom mitschwimmenden Kirmesfreaks, mal so einen Autofahrer weiter ziehen zu lassen. „Deshalb muss man sehen, dass man alles früh erledigt und früh wieder zu Hause ist“, so Bruckmann.
Eine „unangenehme Sache“ schildert der Sterkrader. „Die Leute pinkeln bei uns in die Einfahrt.“ Doch als Kirmesfan sieht man darüber weg, bzw. rückt der Sauerei mit einem Wasserschlauch zu Leibe. Bruckmann: „Es sind eben viele Menschen hier, da ist das einfach so.“ Was ihn eher störe, sei, dass man das Zeitfenster der Kirmes so ausgeweitet habe. Früher habe sie erst nach der Fronleichnamsprozession begonnen. „Ein Böllerschuss kündigte sie an“, so Bruckmann, der mit seiner Frau immer über den Rummel bummelt. Erst geht es zu Cordes auf ein Bierchen und Leute begucken, dann zu Schmalhans mit dem tollen Eis, obendrauf gibt es ein Würstchen. All das entgeht Nachbarn der Bruckmanns, die zu Kirmeszeiten lieber in Urlaub fahren.
Apropos Hubert Cordes: Der Konditormeister hat zwei Cafes mitten im Zentrum des Kirmes-Orkans, eines an der Steinbrinkstraße und eines an der Brandenburger Straße. Herrscht im Auge des Hurrikans Windstille, kann der Kirmesbesucher hier auch zur Ruhe kommen. Zumindest die müden Beine können es. Die Augen ganz sicher nicht. „Manche Gäste haben in meinen Straßencafes schon einen Stammplatz, die sitzen dort acht Stunden und gucken nur“, sagt Cordes. Und der 59-Jährige selbst durchlebt an Kirmestagen auch immer unruhige Zeiten. Nicht nur, dass die Cafes draußen brummen, „ich organisiere den Kirmesheiligabend“. Seit die Kirmes schon am ursprünglichen Heiligabend, am Mittwoch, öffnet, ist der auf Dienstag verlegt worden. Selbst Ex-Sterkrader, die heute in Lünen leben, reisen an. Für Cordes fängt die Kirmes an, wenn die Schausteller kommen. Da wird erst mal nach der Gesundheit gefragt. Man kennt sich halt. Ist dann der Startschuss gefallen, „hört man den Krach nach zwei Tagen nicht mehr“, sagt Cordes, der einen unglaublichen Verwandlungszauber schafft: die eher salzige Angelegenheit einer Pragerschinken-Bude richtig süß hinkriegt, sie aus Marzipan geformt anbietet. Und kurz vor Kirmesschluss machen Cordes und Mitarbeiter immer Feierabend, um selbst noch einmal über die Kirmes zu bummeln. „Die Gerüche, die Farben, die vielen Menschen, das begeistert mich.“
SPD-Ratsherr Manfred Flore lebt an der Parkstraße. Am Platz an der Parkstraße stellen die Schausteller immer ihre Wagen ab. „Man kennt die Leute“, sagt Flore. Klar, gibt er zu, kriegte man auch die Kirmesgeräusche mit. „Aber dafür bekommen wir auch ein schönes Feuerwerk zu sehen“, so der Bezirksschornsteinfegermeister.
Mit der Kirmes verbindet er so gar nichts Negatives. Das heißt, wenn er in seinen Erinnerungen kramt, fällt, ihm eine Sache ein. „Als ich bei der Berufsfeuerwehr angefangen habe, ist etwas Schlimmes passiert. Da mussten sie einen jungen Mann abschneiden, der sich aufgehängt hatte. „Der junge Sterkrader war von der Bundeswehr nach Hause gekommen, und seine Freundin hatte einen anderen, mit dem sie auf die Kirmes gegangen war“, so Flore.
Aber abgesehen von dieser sehr traurigen Erinnerung findet er Kirmes nur positiv. Viele Leute, die Kirmes besuchten, machten einen Abstecher zu Flores. Flores wiederum gehen auch über die Kirmes. Nur eines findet er schade, dass der Heiligabend nicht mehr der Geheimtipp für die Bewohner des Ortsteils ist, der er mal war. „Ursprünglich hatten an Heiligabend hier nur die Kneipen geöffnet, da trafen sich die Sterkrader in Vorfreude auf die Kirmes.“ Als Politiker bedauert Flore: „Leider gibt es keinen Senioren-Empfang der Bezirksvertretung mehr, weil dafür das Geld fehlt.“