Oberhausen. Drei Kinder hat Anja M*. Drei Kinder, die sie getragen und gewiegt hat, die sie liebt, an die sie jeden Tag denkt. Doch keines der drei Kinder hat sie je kennenlernen dürfen. Anja M. hat jedes ihrer Babys verloren, bevor die zwölfte Schwangerschaftswoche beendet war. 2007, 2008, 2009 – jedes der drei letzten Jahre steht für eine Fehlgeburt, für Hoffnung, ein jähes Ende und Trauer.

Anja M. ist jung, sie ist groß gewachsen, hat lange Haare und ein offenes, freundliches Gesicht. Als das dritte Kind ging, wollte Anja nie wieder schwanger werden. „Aber der Kinderwunsch ist viel zu groß.“ Die 34-Jährige sitzt aufrecht in ihrem Sessel, als sie von ihren toten Babys erzählt. Sternenkinder nennen verwaiste Eltern ihre Kinder. Für jedes ihrer Sternchen hat Anja sich einen Stern auf die Schulter tätowieren lassen. „Ich fasse oft dorthin“, sagt Anja, „ganz unbewusst.“ Auch jetzt, als sie das mit den Sternen erklärt. Das Grab, in dem ihre Kinder mit anderen beerdigt sind, hat sie nie besucht. „Aber es ist gut, dass ich weiß, dass es diesen Ort gibt.“

Anja ist von Anfang an offensiv mit dem Thema umgegangen. Aber nicht jeder aus ihrem Umfeld fand das gut. „Meinst du nicht, du hängst das Ganze ein bisschen hoch?“ war einer der verletzendsten Sprüche. Oder: „Das waren doch noch gar keine richtigen Schwangerschaften!“ „Jetzt ist doch langsam mal gut!“ Es ist eine verbotene Trauer, die in ihr Leben Einzug gehalten hat, eine, über die man nicht so spricht, wie sie es tut. Anja wusste vor ihren Fehlgeburten nicht, wie vielen anderen Frauen das „passiert“. Auch deswegen spricht sie heute, um diesen Frauen Mut zu machen.

Aber auch tolle Reaktionen hat Anja bekommen, von Arbeitskollegen, von ihrer Familie. Anja hat nach der dritten Fehlgeburt gemerkt, dass das alleine nicht ausreicht und sich professionelle Hilfe geholt. „Menschen aus dem privaten Umfeld, mit denen ich darüber rede, haben ganz schnell eine eigene Geschichte, die sie erzählen: Meine Tante hatte auch Fehlgeburten und hat dann drei Kinder gekriegt. Das hilft mir nicht.“ Oder, fast noch schlimmer, Phrasen: „Schau nach vorn. Das wird schon wieder!“ „Die sprechen dann oft von sich und nicht von mir. Eine Weile hab ich mich regelrecht aussätzig gefühlt.“ Mit ihrer Trauerbegleiterin und der Psychologin, mit denen sie sich regelmäßig trifft, ist das nicht so, da kann sie ganz bei sich bleiben. „Und ich belaste die andere Person damit nicht.“

Anja hat gelernt, dass sie trotz ihrer Traurigkeit auch fröhlich sein darf, dass sie weiterleben kann. „Ich habe mich sehr weiterentwickelt in der Zeit, ich weiß, ich kann mich auf mich verlassen. Die Trauer wird nie verschwinden. Sie verändert sich nur“, sagt sie. Die leere Stelle in ihrem Leben schmerzt, wenn sie eine Schwangere sieht, „ich hatte ja nicht mal einen Babybauch.“ Die Mütter älterer verstorbener Kinder in der Gesprächsrunde, die sie besucht, haben oft Fotos oder Hand- und Fußabdrücke als Erinnerung. „Da bin ich manchmal auch neidisch. Ich hätte gerne gewusst, wie sie aussehen. Andererseits bin ich froh, dass mir das erspart geblieben ist.“

Auch Anjas Mann trauert um seine Kinder, wenn auch anders. „Er war so stark für mich nach den Ausschabungen. Er verdrängt auch viel mehr. Aber er fragt nach jedem Termin, den ich mache. Und ich kann immer mit ihm darüber reden.“ Mit den drei Namen, die Anja für ihre drei Kinder gewählt hat, war er sofort einverstanden, „fast so, als hätte er sie selbst ausgesucht.“

Anja hat ihre ganz eigene Form gefunden, um ihre Trauer und ihr Leben zusammenzubringen. An ihrem Kinderwunsch festhalten, glaubt Anja, kann sie nur, „weil ich mich intensiv mit meiner Trauer befasst habe.“ Sie weiß nicht, was passieren würde, wenn sie noch einmal ein Kind verlieren würde. „Hoffnung und Angst wechseln sich ab. Mal ist das eine größer, mal das andere.“

*Name von der Redaktion geändert