Mustafa und Esma Kaynar hatten jahrelang ein Ziel vor Augen. Die Geschwister gaben alles, es zu erreichen, trieben sich mit beinahe sportlichem Ehrgeiz gegenseitig an. Und kamen an.
Im vergangenen Schuljahr machte der 20-jährige Mustafa Kaynar sein Abi an der Gesamtschule Osterfeld mit einem Notendurchschnitt von 1,0. In diesem Jahr tat es ihm Esma Kaynar (19) gleich. Auch sie schaffte den Schnitt von 1,0 an der GSO. Genauso wie ihr Bruder möchte sie nun Medizin studieren.
Wie kommt so etwas, dass Geschwister zu Noten-Zwillingen werden? Waren die beiden auch in der Grundschule schon so gut? „Dort waren wir auch gut, hatten aber nicht nur Einsen“, sagt Mustafa Kaynar. Seine Schwester: „Als Kind hat man nur Spielen im Kopf, aber ab der fünften Klasse waren es dann die großen Ziele, für die wir alles gegeben haben.“ Apropos Spielen: „Ich habe als Kind schon immer Ärztin gespielt“, sagt Esma Kaynar. Sie helfe gerne Menschen. Deshalb will sie auch Medizin studieren. Um dies direkt tun zu können, braucht sie den Schnitt von 1,0.
Vielleicht ist es auch so, dass die beiden das in Angriff nahmen, was ihr Vater selbst so gern getan hätte. „Unser Vater ist jetzt pensioniert, er war Bergmann“, erzählen sie. Und dass der Vater auch gerne studiert hätte, am liebsten Medizin. Doch er kam erst spät aus der Türkei nach Deutschland. Da klappte es mit dem Studium nicht mehr.
Die Eltern jedenfalls unterstützten Mustafa und Esma Kaynar. „Sie haben uns erklärt, warum Bildung so wichtig ist“, so der 20-Jährige. Und: „Sie haben uns motiviert, aber nie unter Druck gesetzt.“
Esma Kaynar spricht davon, wie alles ginge, wenn man erst einmal den Faden gefunden habe. „Es gibt kein dumm oder schlau“, glaubt ihr Bruder. „Es gibt nur ein fleißig oder nicht fleißig“. Aber fleißig sein müsse man von Anfang an. So habe er sich auch ein extrem gutes Gedächtnis antrainiert.
In der 9. Klasse legten die Geschwister so richtig los. „Da existierten für uns nur noch zwei Noten, die Zwei war die schlechte, die Eins die gute“, sagt Esma Kaynar. Das Ganze wurde zu einer Art ernstem Spiel. „Wir wurden mit guten Noten belohnt“, sagt Mustafa Kaynar. Und wenn sie eine Eins bekommen hätten, die Eins plus angestrebt.
Die Geschwister loben auch ihre Lehrer. „Sie haben einen guten Unterricht gemacht.“ Viele hätten sich über ihre Leistungen gewundert. „Von Kindern mit Migrationshintergrund waren sie das nicht so gewohnt“, sagt Esma Kaynar. Und wenn sie dann noch erfuhren, dass ihr Vater Bergmann ist, wollten sie das gar nicht glauben. „Die meisten dachten, unsere Eltern seien auch Mediziner“, erklären die Geschwister.
Was sie anderen Familien mit Migrationshintergrund raten, dass es bei den Kindern in der Schule gut klappt? „Die Eltern müssen die Kinder unterstützen, ihnen Grenzen setzen, es aber mit den Grenzen auch nicht übertreiben“, rät Mustafa Kaynar. „Die Eltern müssen sich kümmern“, ergänzt seine Schwester.
Mit ihren Schulkollegen hatten die beiden Überflieger nie Probleme. „Wir haben nie angegeben mit unseren Noten und anderen auch geholfen“, sagt Esma Kaynar. So haben beide auch einen Freundeskreis. „Man muss sich auch Freizeit gönnen“, ist Mustafa Kaynar überzeugt. Er habe immer mit seinen Freunden Fußball gespielt und sei viel Rad gefahren. Esma Kaynar, nach ihren Hobbys gefragt, lacht: „Ich gehe gerne Shoppen, wie das bei Frauen eben so ist.“ Aber auch Musik und das Radfahren gehören zu ihren Freizeitbeschäftigungen.
Für Partner, Freund oder Freundin bleiben allerdings vorerst keine Zeit. Denn das fleißige Duo hat ja schon sein nächstes Ziel vor Augen: Nicht einfach nur Medizin studieren, sondern auch hier so gute Noten wie möglich zu bekommen. Und um beruflich so viel zu erreichen wie möglich.
Und wenn es einmal nicht mehr weitergeht? Ist dann der Frust vorprogrammiert? Nein, finden die beiden, dann müsse man sich ruhig hinsetzen und überlegen. Irgendetwas ginge immer.
Die Geschwister Mustafa und Esma Kaynar besuchten von der Klasse 5 bis zur 13. Stufe die Gesamtschule Osterfeld, kamen aber durchaus nicht mit dieser Erfolgsprognose an die Schule, wie Ingrid Wenzler von der GSO schreibt. Kaynars, wie fast alle Abiturienten an der GSO, hätten sich gerade auch unter den Bedingungen des Zentralabiturs hervorragend bewährt und die Leistungsverbesserungen bestätigt, die sie im Verlauf ihrer erfolgreichen Schulzeit an der Gesamtschule Osterfeld verzeichnen konnten, so Ingrid Wenzler.