Bauingenieur Werner de Witt vermisst eine öffentliche Diskussion über die Zukunft des Osterfelder Zentrums. „Wie soll der Stadtteil in Zukunft aussehen?“, fragt sich der 62-Jährige.

„Darüber müssen Bürger, Politiker, Kaufleute und Immobilienbesitzer diskutieren.“

Die Probleme sind hinlänglich bekannt. Immer weniger, immer mehr ältere Menschen leben im Stadtteil. Die Bausubstanz im Ortskern entspricht an vielen Stellen nicht mehr heutigen Erfordernissen. „Schon jetzt stehen rund 300 Wohnungen leer, Geschäftsleute suchen neue Ladenlokale. Wenn sich hier nichts bewegt, ist hier in zwei Jahren tote Hose“, sagt de Witt.

Seine Frau Gabriele schafft derweil Fakten. Sie hat am 1. Juli den Mietern im Eckgebäude Gildenstraße 17 sowie Marktplatz 1 und 3 schriftlich, kurz und knapp in 14 Zeilen, mitgeteilt, dass sie das Haus gekauft habe und beabsichtige, die Immobilie umfangreich zu sanieren. „Während dieser Bauarbeiten ist ein Bewohnen der Häuser nicht möglich. Ich muss Ihnen somit das Mietverhältnis zum 31. Januar 2011 bzw. 30. April 2011 aufkündigen.“

Bei den 25 Mietern im Alter zwischen zehn und 91 Jahren löste das Schreiben Ängste aus – und verursachte Ärger. „Frau de Witt hat noch nicht ein Wort mit uns gesprochen. So geht man nicht mit Menschen um, die seit 43 Jahre hier wohnen“, sagt Manfred Prehn. „Viele der Mieter hier sind alt und krank.“ Zum Beispiel Agnes Lube: Die 55-Jährige leidet schwer an Asthma und bezieht Hartz-IV. Seit 1967 wohnt sie in ihrer 54 qm großen Wohnung, ist dort aufgewachsen und hat hier ihren Vater bis zum Tod gepflegt. „Wie soll ich auf die Schnelle eine neue Wohnung bekommen?“, fragt sie sich.

De Witts haben ihrem Schreiben eine Liste mit Wohnungen der Gemeinnützigen Wohnungsbau eG (Gewo) beigelegt. „Die Mieten dort sind aber deutlich höher als hier“, sagt Prehn. Der 75-Jährige, seine Frau Erika und Nachbarin Lube wollen am liebsten wohnen bleiben, hoffen als langjährige Mieter auf entsprechenden Kündigungsschutz.

De Witt: „40 Jahre Mieter zu sein, das ist ein beliebtes Totschlagargument. Es zieht aber nicht.“ Der Bauingenieur beruft sich auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs. Das Stichwort lautet: Abrisskündigung.

Abriss? „Ja, die Gebäude sind nicht zu sanieren“, sagt de Witt. Das Bewohnen sei gar gesundheitsgefährdend. Der Boden sei mit asbesthaltigem Kleber verlegt, das Wasser fließe in Bleileitungen und die EVO habe bestätigt, dass die alten, elektrischen Leitungen durchaus Brände verursachen könnten.

Anders als von seiner Frau den Mietern mitgeteilt, soll das Eckgebäude aus dem Jahr 1958, in dem de Witts die Gildenapotheke betreiben, 2011 komplett abgerissen werden. Im geplanten Neubau an gleicher Stelle sollen altengerechte Wohnungen entstehen (60, 85 und 100qm), inklusive Aufzug, Balkonen und Tiefgarage; die Zufahrt erfolgt über die Hans-Sachs-Straße.

Vier Millionen Euro kalkulieren de Witts für ihr Projekt, das mit Stadtverwaltung, SPD, CDU und Grünen bereits grob abgesprochen worden sei. Der Stadt habe man zudem vorgeschlagen, den Osterfelder Marktplatz komplett mit einer Tiefgarage zu versehen. „Wir würden das bauen und die Parkplätze dann vermieten“, sagt de Witt.