Pax“, sagt der Mensch des Mittelalters und setzt sich friedvoll an den schweren Holztisch: Tobias Thimm hat vor fünf Jahren die Holtener Rotte gegründet.

31 Mitglieder machen heute lebendiges Museum: Auf Mittelaltermärkten schlägt die Rotte ihr Zeltlager auf und lebt darin nach historischem Vorbild. Stephanie Weltmann fragt, warum.

War früher alles besser?

Thimm: Das ist ein Patt. Das Leben im Mittelalter war viel härter als unseres heute. Trotzdem lebten die Menschen für ihre Verhältnisse recht gut. Sie sorgten für sich, waren sehr einfallsreich.

Ist man heute bequemer?

Man darf bequemer sein, vor allem, was Speisen angeht: Früher mussten Bauern überlegen, was sich lange hält und eintöpfern lässt. Mit Salz und Öl, Wasser und Sand konnten sie Dinge konservieren. Problematisch war die Lagerung, da es keine Kühlschränke gab. Solche Alltäglichkeiten wollen wir darstellen: Das Leben war mehr als Wein, Weib und Gesang. Man muss hinter die Kulissen schauen.

Sie laden Ihre Gäste gleich in die Kulisse ein. Warum?

Wir bauen auf Mittelalterfesten ein Soldatenlager des 15. Jahrhunderts mit rund 1000 Exponaten auf, übernachten, leben und essen dort nach historischem Vorbild. Besucher können sich alles anschauen und Fragen stellen. So wird Geschichte lebendig und leicht zu verstehen.

Keine Skeptiker unter den Besuchern?

Einige gucken uns wegen der Kleidung komisch an. Doch wenn man anfängt, zu erzählen, merken die meisten, dass wir Ahnung von der Materie haben. Viele Zuhörer haben wir, wenn jemand aus der Gruppe über Waffen oder Feldchirurgie spricht. Bei Alltäglichkeiten gehen viele leider weiter.

Alltag haben sie selbst. Und der ist gerade nicht einfach.

Klar, wir haben heute viele Probleme, aber wenn man die Vergangenheit vergisst, dann verliert die Menschheit ein Stück soziales Gefüge. Unsere Geschichte ist unsere Kultur und die darf man nicht ignorieren.

Wollen Sie in ihr leben?

Nein. Mein Blinddarm und meine Mandeln sind raus, daran wäre ich früher elendig gestorben. Auch der ständige Krieg: Das Mittelalter ist bis 1500 durchgehend mit Krieg belegt. Schlachten stellen wir dar, danach sitzen wir aber zusammen und trinken Cola.

Luther sei Dank: Sprache, Brillen und Pumpen aus alter Zeit

Was ist eigentlich eine Rotte?

Das ist ein Begriff aus dem Militär für eine kleine Gruppe von Soldaten.

Sie stellen also einen Soldaten dar?

Nein, ich bin ein junger Landadeliger, den es so nicht gegeben hat. Aber meine Kleidung ist authentisch. Meine Schuhe zum Beispiel sind aus Ziegenleder. Sie haben eine Ledersohle, die mit Holznägeln festgemacht ist.

Warum haben sich Menschen im Mittelalter eigentlich nicht gewaschen?

Das ist ein altes Vorurteil: Erst viel später, im 18. Jahrhundert haben sich die Menschen nicht mehr regelmäßig gewaschen, weil das Wasser voller Keime war. Im 15. Jahrhundert waren die Städte noch nicht so groß, das Wasser also sauberer. Da hat man sich einmal die Woche gewaschen.

Sonst noch etwas, das wir übers Mittelalter wissen sollten?

Das Addieren und Dezimieren hat sich in dieser Zeit verbreitet und die vielen deutschen Dialekte bekamen dank Luther eine einheitliche Schrift. Pumpen und Erfindungen aus der Windkraft kommen aus dem Mittelalter und die Kohleverarbeitung hat hier ihren Ursprung. Brillen hat man ebenfalls erfunden.

Sind Sie eigentlich Historiker?

(lacht) Nein, das bin ich nicht. Das muss man auch nicht sein, um sich für Geschichte zu interessieren oder andere für sie begeistern zu können.

Info: Authentische Nachstellung

Re-Enactment (dtsch.: Nachstellung) nennt der Fachmann es, wenn Menschen aus der Gegenwart authentisch Geschehnisse aus der Vergangenheit inszenieren. So soll Geschichte verständlich und erlebbar gemacht werden. Zentral ist dabei der wissenschaftliche Ansatz: Re-Enactors geht es um museale Darstellung. Nicht zu verwechseln ist das mit dem Liverollenspiel, das häufig ohne Zuschauer stattfindet und Historie meist sehr frei interpretiert.