Etwas mit den Händen zu tun, kann auch dem Geist nützen. So sehr, dass ein Berufszweig auf dieser Erkenntnis beruht – „Ergotherapie“ ist mehr als Beschäftigung. Lars Flemming (39) und Nicole Giuliano (32) wollen in ihrer neu gegründeten Praxis in Sterkrade vor allem psychisch Kranken dabei helfen, Grundfähigkeiten wie Ausdauer, Konzentration oder die Planung einer Handlung wiederzuerlangen.
„Wir wollen die Arbeit mit psychisch Kranken zu einem Schwerpunkt unserer Praxis machen“, erklärt Flemming. Beide kommen aus dem Bereich, Giuliano arbeitete in einer Werkstatt der Lebenshilfe, Flemming im Betreuten Wohnen bei Intego. Sie haben die Erfahrung gemacht, dass zwischen Krankenhausaufenthalten und einer Reha oft wertvolle Zeit ungenutzt vergeht. „Es gibt eine regelrechte Lücke, auch, wenn schon ein Platz in einer Werkstatt beantragt wurde. Das kann drei, vier Monate dauern.“ Doch bereits dann sei es wichtig, dass die Menschen sich wieder an eine Tagesstruktur gewöhnen, dass sie ihren Alltag strukturieren lernten. In diese Bresche wollen die Ergotherapeuten springen und ein Bewusstsein dafür wecken, dass ambulante Ergotherapie auch für psychisch Kranke überaus wertvoll ist. Bei Kindern, ihren Hauptklienten, sei es viel anerkannter und selbstverständlicher, eine solche Therapie zu verordnen.
Die Wege zum Ziel sind dabei vielfältig. „Man muss immer schauen, was den Menschen interessiert“, so Flemming. Therapeutische Spiele, handwerkliche Arbeiten, Übungen auf Papier – sogar das Malen von Window-Color-Bildern kann helfen. Für Kinder bauen die beiden in der geräumigen Praxis schon mal einen Parcours zum Toben auf – oder, das andere Extrem – sie hängen in einem Raum alle Bilder ab und entfernen die Zimmerpflanzen, weil das ein wahrnehmungsgestörtes Kind zu sehr irritieren kann.
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Gegründet haben Giuliano und Flemming, weil sie schon immer selbstständig arbeiten wollten. „Als Angestellter hat man immer Vorgaben. Ich finde es sehr schön, dass wir hier auch mit den Eltern viel zusammenarbeiten“, sagt Giuliano. So bieten die beiden den „Eltern-Coach“ für Eltern mit Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom (ADS) an. „Wir wollen, dass die Eltern die Krankheit verstehen. Ein Kind mit ADS muss ganz anders angeleitet werden, das erleichtert dann auch den Alltag.“
Auch wenn der Aufwand größer sei, auch wenn Existenzfragen aufkommen: „Es gibt so schöne Momente. Und man kann sich seine Spezialisierung selbst aussuchen.“ Giuliano lässt sich derzeit per Fernstudium zur Dyskalkulie- und Legasthenie-Trainerin ausbilden. Flemming ist Trainer für das Marburger Konzentrationstraining, dass für Kinder mit ADS und ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) „Aber es kann jedem Kind oder Jugendlichen mit Problemen helfen, sich auf eine spezielle Sache zu konzentrieren“, so Flemming. Dazu gehören Entspannungstechniken genauso wie Übungen zur Steigerung der Aufmerksamkeit – etwa durch lautes oder leises Sprechen beim Ausfüllen von Arbeitsblättern.
Ihre Praxis haben die beiden über einen kostengünstigen Gründerkredit der Kreditanstalt für Wiederaufbau eingerichtet. „Es ist gut angelaufen, aber wir sind vorsichtig. Wir sind dabei, uns einen Namen zu erarbeiten“, sagt Flemming.