Die Kultur der Stadt genießen – dazu reichten am Freitag fünf Stunden zwischen 19 Uhr und Mitternacht einfach nicht aus.

Die dritte Ausgabe von „Schlaflos“ bleibt in Erinnerung. Sie lud dazu ein, „Kultur zu genießen“, wie es der Dezernent Apostolos Tsalastras ausdrückte. Und dennoch war sie nicht auszusperren, die Katastrophe von Duisburg, weil sie überall, wo sich die Menschen begegneten und miteinander redeten, Gesprächsthema war – am Vorabend der Trauerfeier in der Nachbarstadt.

All die vielen „Sternstunden“ des Abends zu erleben, war schier unmöglich. Zu reichhaltig war das Angebot, zu schnell vergeht die Zeit zwischen 19 Uhr und Mitternacht, will man mehrere Gänge des Kulturmenüs probieren, das aufgetischt war.

Eröffnung
in der Lichtburg

Die offizielle Eröffnung fand im Lichtburg-Filmpalast statt, der Andrang war enorm. Wie zur Eröffnung der Internationalen Kurzfilmtage drängte eine Menschenmenge hinein in den großen Kinosaal. Anders als beim Festival waren ebenso viele kleine Leute dabei wie Erwachsene. Der Grund: Über 100 Oberhausener Kinder spielen mit in dem Kurzfilm von Herbert Fritsch, der hier Premiere feierte, „zu 99 Prozent und in letzter Minute fertig gestellt“, wie der Regisseur betonte: Apokalypse – die Offenbarung des Johannes aus Kindermund. Hier geht es um das Schicksal der Kirche und die ungläubige Menschheit, die Enthüllung himmlischer Botschaften in gleichnishaften Bildern. Als Text-Flickenteppich werden sie von den Kindern so vorgetragen, als würden sie engagiert eine erlebte Geschichte erzählen. Das Publikum war begeistert, der Applaus hielt lange an. Das so etwas möglich ist, hatte niemand geglaubt.

Bei Kir: freie Friesen
und galaktische Hippies

Nebenan auf dem Altmarkt hatte das kulturelle Treiben während der Aufführung bereits begonnen. Gut gefüllt war das „Freiluft-Café“ neben dem Lesezelt. Menschen strömten in die Galerie Kir, wo sie die Skulpturen und Bilder der „Freien Friesen“ entdeckten, während sie den „Six Pänz“ zuhörten, die a cappella vortrugen. Nur im Hof war noch Platz und der gehörte auch zur Ausstellungsfläche, denn Winfried Baar hatte hier vier Meter hohe „Galaktische Hippies“ positioniert. Er ist in Oberhausen aufgewachsen, war in den 60er Jahren Sänger der „Downtown-Angles“, die Kultstatus erlangten.

Längst war es dunkel und vor dem LVR-Industriemuseum brannte Feuer. Die Gäste hatten die Qual der Wahl zwischen den Exponaten der Schwerindustrie im Museum und der Ausstellung „Feuerländer“ im Kesselhaus. Letztere war ein Publikumsmagnet, so Anja Drews, Studentin und Fan der Industriekultur, die den Gästen die Bilder erklärte. „Hier in diesem Teil der Ausstellung sehen Sie, wie Künstler den Untergang der Industrie verarbeiten, wie Arbeiter ihre Rolle verlieren.“

Gelungenes Experiment
im Gasometer

Szenenwechsel: Das Knirschen von Kies, das anschwellende und verebbende Rauschen vorbeibrausender Boliden, Maschinenrattern, Stimmen – sie bilden die ständige Geräuschkulisse einer Stadt. Für manche ist sie Musik in den Ohren, für Matthias Beine sogar wortwörtlich. Im Gasometer macht er diesen Soundtrack für andere erfahrbar. Eine Komposition? „Ein Experiment“, sagt der Musiker. Warum nicht? Kunst muss ein Wagnis sein.

Beines „Experiment“ ist anders als erwartet, kein Jazz, der den urbanen Sound oft zum Thema hat, keine Music Concrete. Hier wird nicht interpretiert, sondern gerechnet: Digital aufgenommene Geräusche fließen in Zahlen. Sie werden zu Noten. Beine: „Ich wähle nur noch das Instrument aus, das die Noten wiedergibt.“ Zur Unterstützung hat er drei Begleiter an der Trompete, am E-Schlagzeug und am Mikrofon. So fiept und rauscht und entfaltet sich ein faszinierender Klangteppich aus Stadtlärm und einer gehauchten Chat-Baker-Trompete, die in den Farben der Musikinstrumente und unter dem mysteriösen fahlen Licht des Kunstmondes atmosphärisch und erstaunlich sanft klingen. Ein gelungenes Experiment.

Im K14: Vernissage
auf dem Dancefloor

Die Verbindung aus Musik und Bild suchen auch die vier jungen Künstler im K14, eine Art Vernissage auf dem Dancefloor. Initiator Stefan-Reinhard Becker (30) holte bereits zum zweiten Mal aufstrebende Künstler ins älteste sozio-kulturelle Zentrum Deutschlands. Er selbst macht „Materialspielereien“, manchmal ein wenig grotesk, provoziert mit seiner Kunst den „guten Geschmack“. So tummeln sich in einer Ecke dicke halbnackte Damen im Kleinformat, anderswo füllt großspurig ein männlicher Torso ein halbes Wandbild. Kunst mit Augenzwinkern. Mit optischen Tricks spielt hingegen Annika Sonntag: Gemalte Stoffbahnen erinnern in ihrem Faltenwurf an Berge, zerfließen zu Tropfen, dazwischen wächst Kapuzinerkresse, sitzt ein Hase – surreal, „romantisch“, sagt Sonntag. Il-Jin Choi, Künstlername „Atem“, greift Graffitikultur auf: Blow-ups von Wörtern, die mal aussehen wie Ballons, mal topographisch wie ein komplexes Straßenlabyrinth wirken.

Im Ebertbad singen
am Ende alle mit

Noch ist es im K14 leer, im Ebertbad hingegen schon rappelvoll: „MoZuluArt“ singen Lieder aus Südafrika, Pop (The lion sleeps tonight) und bekannte Balladen wie „Blue River“ zu klassischer Instrumentierung – Klavier, Cello, Violine. Diese herzliche Umarmung von europäischer Klassik und afrikanischer Gesangskultur begeistert. Obwohl das Publikum für den „schlafenden Dschungelkönig“ Anlauf braucht. Erst einmal bleibt es stumm wie das Kaninchen vor dem Löwen „Wenn das Chaos eintritt, helfe ich euch“, macht ein Sänger Mut. Heißt es nun „Uyimbube“ oder „Wimoweh“? Egal, am Ende singen alle mit.

Kommentar

Wenn alle Oberhausener Kultur-Institutionen sich gleichzeitig ins Zeug legen, ist „Schlaflos“, die Nacht der Kultur. Sie wird gut angenommen, die Besucher hoppen vom Kino zum Gasometer, zum Industriemuseum, zum Schloss, zum Metronom-Theater, zum Bunkermuseum, zum K14, zu Kir… Doch weil es unmöglich ist, alles zu erleben, bleibt nichts anderes übrig, als Prioritäten zu setzen oder nur mal kurz hineinzuschnuppern und wieder zu gehen. Das wird zwar den jeweiligen Anbietern nicht gerecht, die sich so viel Mühe geben, macht aber doch Sinn: Durchs Hoppen bekommt der Besucher einen Überblick darüber, was es alles gibt. So kann der Wunsch entstehen, wieder zu kommen. Und das ist eine Chance für alle Beteiligten, neue Interessenten zu gewinnen.