Oberhausen. .

Entertainer treibt das Publikum im Ebertbad durch die halbseidenen Seiten der 50er Jahre-Magazine.

Dass bei einem „Herrenabend“ gerne große Reden geschwungen werden, wissen wir. Auch, dass sich meist einer gern als Redeführer hervortut. Götz Alsmann macht das bei seinem „Herrenabend“ zum Programm.

Zwei Fragen wirft sein Auftritt vom Samstagabend im Ebertbad auf: Was glaubt dieser Mann eigentlich, wer er ist? Und: Was glauben wir eigentlich, was er ist?

Tollen-Träger

Jazz-Fan, Kenner der Musikgeschichte – und diverser Musikgeschichten –, Anzug- und Tollen-Träger, hervorragender Multi-Instrumentalist, Radio-Mann, langjähriger Moderater der ausgefallenen Talk- und Spiel-Sendung „Zimmer frei“ – Antworten auf die zweite Frage bringen eine Chamäleon-Kunstfigur ans Licht. Der Vergleich mit der Tierwelt, pardon, er passt: Das Chamäleon wird auch als „Wurmzüngler“ bezeichnet.

Das führt uns zu möglichen Antworten auf die erste Frage: Seitenlange Texte liest Alsmann in so buchstäblich atemberaubendem Tempo vor, dass dem Zuhörer keine Zeit bleibt, einen klaren Gedanken zu fassen, oder womöglich gar mehrere. Das geht vielleicht im berühmt-berüchtigten 1-Minute-30-Format durch den Lautsprecher eines Rundfunkempfängers oder bei der „Lit-Cologne“; von der Bühne herab funktioniert es nicht. Und: Alsmann scheint sich für einen Professor zu halten. Sobald sein Zeigefinger das Tasteninstrument verlässt, schnellt er unweigerlich in die Höhe.

Da nützt auch die eingestreute Zerstreuungsmusik der über jeden Zweifel erhabenen Musiker der Götz-Alsmann-Band nichts. Die Songs und Arrangements, allesamt rein instrumental vorgetragen, stehen im krassen Gegensatz zu den Wortbeiträgen. Ausgerechnet sie „entschleunigen“ Alsmanns atemlose Hatz durch diverse Artikel aus Magazinen der 50er Jahre und nehmen absurderweise erst am Ende des pausenlosen anderthalbstündigen Abends richtig Fahrt auf.

Dabei hat Alsmann wirkliche Kleinode ausgegraben, aus den halbseiden schillernden Print-Produkten einer Zeit, in der es noch eine „Halbwelt“ gab, Aktfotos noch unter dem Ladentisch gehandelt wurden, wenn die Tochter des Zeitschriftenladen-Besitzers nicht da war, als „platinblonde“ Damen noch billige Pelzmäntel trugen, Frauen sich im verruchten Bohème-Keller Ringkämpfe lieferten und der Herr Regierungsrat davon träumte, mit einer „Kokotte“ Tango zu tanzen.

Götz Alsmann mag sich beim Blick in den Spiegel mit sofortiger Wirkung in die 50er Jahre zurückversetzt fühlen. Doch er vergisst, dass er dem Publikum auf seiner Zeitreise etwas mehr als diesen Spiegel vorhalten muss. Er muss uns Heutigen einfach mehr Zeit geben, Gestern zu genießen.