Kritischer Nebensatz: Vier Tage, nachdem sich ein 84-jähriger Autofahrer wegen fahrlässiger Tötung verantworten musste und Richter Peter Dück über Fahrprüfungen „so ab 65 Jahren“ nachzudenken, ist die Debatte weiter hitzig.
Die Kommentare im Internet und am Telefon sind zahlreich. Der Tenor: Alle Autofahrer sollten unabhängig vom Alter einen Fahr- und Gesundheitscheck regelmäßig absolvieren. Alle fünf Jahre wie in den USA oder gestaffelt nach Alter – da sind die gewünschten Grenzen offen.
Dem schließt sich Richter Dück an und verspricht sich vom regelmäßigen Test: „Egal ob alt oder jung, wer weiß, dass er in vier Jahren seinen Führerschein erneut beantragen muss, wird sich dementsprechend im Straßenverkehr verhalten.“ Senioren will er die Fahrtüchtigkeit nicht absprechen, bemerkt aber: „Mit dem Alter kommen auf uns alle gesundheitliche Probleme zu, die im Straßenverkehr gefährlich werden können.“
Zum Beispiel der Verlust des Gehörsinns: Laut einer Studie des Europäischen Verkehrssicherheitsrates steigt die Zahl der Blechschäden mit dem Alter des Fahrers. Das Problem: „Viele Senioren hören den Rums nicht mehr. Sie fahren einfach weiter und müssen sich später wegen Unfallflucht vor dem Strafgericht verantworten“, weiß Richter Dück.
In vielen europäischen Nachbarländern gibt es den Führerschein auf Lebenszeit schon längst nicht mehr: In Italien müssen sich Autofahrer ab dem 65. Lebensjahr alle zwei Jahre testen lassen, in Schweden und Großbritannien ab 67 Jahre alle drei Jahre.
Dr. Stefan Becker, Sprecher des Hausärzteverbands Nordrhein, hält solche Altersgrenzen für falsch: „Fahrtüchtigkeit hat nicht immer etwas mit dem Alter zu tun.“ Er wünscht sich vielmehr einen Katalog, der Ärzten klare Sperrfristen an die Hand gibt, nach denen sich autofahrende Patienten verbindlich zu richten haben: „Wie lange darf man nach einer Augen-OP nicht fahren? Oder nach einem Schlaganfall?“ Regelmäßige Gesundheitschecks hält er für sinnvoll: „Viele gehen bereits zur jährlichen Vorsorge.“
Statistiken zeigen, dass die Unfallhäufigkeit bei älteren Menschen nicht hoch ist: Senioren verursachen 9,2 Prozent aller Unfälle mit Personenschaden. Das Unfallrisiko bei jungen Autofahrern ist doppelt so hoch, auch weil sie oft alte Autos mit technischen Mängeln fahren, so Experten.
Kommentar
Deutschland, deine Autofahrer. Älter werden sie, weil die Nation älter wird. Werden sie deshalb zum Risiko? Die Unfallstatistiken sagen nein: Junge Fahrer sind die Raudis. Experten wissen, warum: Senioren fahren in gewohnter Umgebung und außerhalb der Stoßzeiten. Deshalb fordern sie einen regionalen Führerschein, damit ältere Menschen zum Arzt und Aldi können. Das ist ein schlechter Kompromiss. Wenn ein Fahrer so unsicher ist, dass er sich zeitliche und geografische Grenzen setzt, dann sollte er gar nicht mehr fahren. Die Einsicht ist oft nicht da. Deshalb muss der Führerschein auf Lebenszeit schlicht überdacht werden.
Die EU will den Führerschein für 15 Jahre ausstellen und danach die Fahrtüchtigkeit im Fünf-Jahres-Rhythmus überprüften. Das wäre absolut richtig. Denn sind wir ehrlich: Welcher langjährige Autofahrer würde noch einmal die theoretische Fahrprüfung bestehen? Und die praktische ohne Punktabzüge? Wer weiß, welche Erste-Hilfe-Maßnahme am Unfallort zu leisten ist? Nur die, die aus beruflichen Gründen zur Auffrischung müssen. Hingehen sollten alle: Nur Wiederholung schafft’s ins Langzeitgedächtnis. Zum regelmäßigen Test gehören aber auch Gesundheitschecks. Lkw-Fahrer müssen sie absolvieren. Trägt der Mercedes-Fahrer weniger Verantwortung im Straßenverkehr? Nein. Ärzte sind zwar angewiesen, alten und jungen (!) Menschen vom Fahren abzuraten, wenn sie Gefahr wittern. Den Lappen abnehmen darf nur die Polizei und das meist erst, wenn es zu spät ist.
Ja, wir haben ein Grundrecht auf Mobilität. Der Führerschein steht wie kaum etwas anderes in diesem Land für Selbstständigkeit. Er ist aber nicht selbstverständlich. Das sollte das Recht auf körperliche Unversehrtheit sein. Im ersten Paragrafen der Straßenverkehrs-Ordnung steht: Kein Verkehrsteilnehmer sollte einen anderen gefährden. Wer nur eingeschränkt fahrtüchtig ist, gefährdet andere. Regelmäßige Überprüfungen können die alte und junge Spreu vom Weizen trennen.