Oberhausen. Zwölf Jahre lang kämpfte Alena für ein eigenes Leben. Seit der Geburt war das Mädchen schwer krank, Klinikaufenthalt folgte auf Klinikaufenthalt. Auch den letzten Kampf hat Alena gewonnen: Sie durfte zu Hause sterben. Das Kinderpalliativ-Netzwerk Essen half der Familie.

Maria Bünk, Netzwerkkoordinatorin des ambulanten Kinderpalliativ-Netzwerks Essen, Christa Sandforth (ehrenamtliche Mitarbeiterin, v.l.) leisten Andreas und Andrea Becker Beistand.
Maria Bünk, Netzwerkkoordinatorin des ambulanten Kinderpalliativ-Netzwerks Essen, Christa Sandforth (ehrenamtliche Mitarbeiterin, v.l.) leisten Andreas und Andrea Becker Beistand. © Christoph Wojtyczka / WAZ FotoPo

Alena ist tot. Sie wurde zwölf Jahre alt. Da sitzen noch ihre Puppen zusammengekuschelt in der Kinderzimmerecke. Alles so bunt, fröhlich, als ob Alena jeden Moment in ihr Zimmer käme, eine von diesen für sie so typischen Flausen im Kopf. Andrea und Andreas Becker befinden sich im Schwebezustand. Irgendwie zwischen gestern, als alles noch wie immer war, und heute, wo niemand ankommen möchte.

„Aber wir müssen”, sagt Andrea Becker fest, „auch für unseren Sohn Marius”. Und dann erzählt Andreas Becker: „Gleich nach der Geburt stellte sich heraus, dass unsere Tochter schwer krank ist.” Alena hatte Osteopetrosis (Mamorknochenkrankheit). „Ihr fehlte ein Stoff, der Knochen abbaut, die Knochen wurden immer dicker.” Ohne eine Knochenmarktransplantation würden ihr nur sechs Wochen bleiben. „Sie bekam Stammzellen von mir und als die Behandlung gut anschlug, machten uns die Ärzte in Ulm sogar Hoffnungen, dass sie sich ganz normal entwickeln könnte”, erinnert sich Andreas Becker noch gut.

Immer wieder in der Klinik

Doch weit gefehlt. Vor allem eine Pfortader- und Milzvenenthrombose machten der Kleinen zu schaffen. Der Aderverschluss in der Leber führte zu Magen- und Darmblutungen. Dazu kamen Entwicklungsverzögerungen, eine geistige Behinderung. Klinikaufenthalt folgte auf Klinikaufenthalt.

Doch Alena kämpfte, baute sich ihr eigenes Leben auf, das mit all diesen Krankheiten nichts zu tun hatte. „Sie hat es geschafft, sitzen zu lernen, zu krabbeln, sich hinzustellen, zu laufen und zu sprechen”, sagt Andreas Becker stolz. „Immer wenn wir dachten, das schafft sie nie, hat sie uns gezeigt, dass sie noch viel mehr als nur das schafft”, erfuhr Andrea Becker. „Sie saß zwar im Rollstuhl, konnte sich damit aber ganz gut selbst fortbewegen und an der Hand konnte sie auch laufen”, erzählt Andreas Becker. Alltag kehrte ein. Kurz vor den Herbstferien lernte Alena noch Radfahren.

Tumor in der Wirbelsäule

Info

Das Kinderpalliativ-Netzwerk betreute im letzten Jahr 55 Familien mit 57 Kindern. Fünf Mitarbeiter (mit 2,8 Stellen) und 27 Ehrenamtliche kümmern sich um Familien in Essen, Oberhausen, Herne, Velbert, damit schwerkranke Kinder zu Hause leben und sterben können.

Das Netzwerk ist auf Spenden angewiesen. Die Bethe-Stiftung hat zugesagt, Spenden bis zu einer Gesamthöhe von 12 000 zu verdoppeln (Bank im Bistum Essen BLZ 360 602 95, Kto. 71650030, Stichwort: KPN-Bethe-Stift.-Spendenverdoppelung. Kontakt zum Netzwerk: 0201 27 50 81 23.

„Doch in den Ferien wollte Alena plötzlich nicht mehr laufen”, sagt Andreas Becker. Ein Besuch beim Kinderarzt blieb ohne Ergebnis. „Auf dem Rückweg wollte sie nicht mehr in ihrem Kindersitz sitzen und hat zum ersten Mal total heftig geweint”, erinnert sich Andrea Becker. Noch am Abend fuhr die Familie in die Uni-Klinik Essen. Das Ergebnis war niederschmetternd. „Die Ärzte entdeckten einen Tumor in der Wirbelsäule, der bereits auf das Rückenmark drückte.” Da wussten die Eltern: „Unsere Tochter wird sterben.”

Alena hasste Krankenhäuser. Deshalb setzten Andreas und Andrea Becker alles daran, ihr Kind nach Hause zu holen. „Die Pendelei zwischen Strahlenbehandlung in der Klinik und zu Hause wurde zur enormen emotionalen Belastung”, sagt Andrea Becker. Plötzlich ging gar nichts mehr. „Bislang hatten wir ja immer die Hoffnung gehabt, dass alles besser wird, doch jetzt wussten wir, diesmal geht nichts mehr”. Andreas Becker fügt leise an: „Ich war nicht einmal mehr in der Lage, Hilfsmittel aus dem Sanitätshaus zu organisieren.”

Entscheidung gegen weitere Strahlenbehandlung

Die Uni-Klinik vermittelte den Kontakt zum Kinderpalliativ-Netzwerk Essen. Und dann lief alles wie von selbst. „Wir haben gemeinsam überlegt, was die Familie braucht”, sagt Netzwerk-Koordinatorin Maria Bünk. Und das war vor allem die Entscheidung gegen eine weitere Strahlenbehandlung des Mädchens.

Das Palliativ-Netzwerk sorgte dafür, dass Alena medizinisch gut versorgt wurde. „Wir holten den Kinderarzt und einen Pflegedienst mit ins Boot”, erläutert Maria Bünk. Eine neue Matratze wurde organisiert, die verhinderte, dass sich das Mädchen wundlag. Die Schmerzmitteleinstellung wurde laufend angepasst.

Filme und Lieder

„Alena hat es genossen, nur noch zu Hause zu sein”, sagen die Eltern. Der Druck sei von ihr abgefallen. Sie schaute sich sogar ihre Lieblingsfilme an, sang Martinslieder. „Das hat sie auch am 18. Dezember 2009 noch getan, dem Tag, an dem sie starb.” Das werden Alenas Eltern nie vergessen. Genauso wenig wie die Hilfe, die sie von den Netzwerkmitarbeitern erfuhren. „Ohne sie hätten wir das alles niemals durchstehen können”, sagen sie dankbar. Der Kontakt ist geblieben. „Wir sind dort in einer Trauergruppe, auch unser 18-jähriger Sohn Marius hat sich dafür entschieden.”