Oberhausen. Um Staus zu verringern, soll das Autobahnkreuz Oberhausen ausgebaut werden - zulasten von Tausenden Bäumen. Eine Debatte lieferte neue Argumente.
Erst nach einer Stunde kam es in der Heinrich-Böll-Gesamtschule im Oberhausener Norden zum erwarteten hitzigen Schlagabtausch über die heikle Frage, wie viel Wald sterben muss, damit Autos schneller über die Autobahn sausen können. Das „Bündnis zum Erhalt des Sterkrader Waldes“ hatte Fachleute, Befürworter und Gegner zur hochkarätig besetzten Diskussionsrunde eingeladen - rund 250 Interessierte hörten zu.
Hohe Luftbelastung durch Autoverkehr
Cornelia Schiemanowski, Sprecherin dieser Bürgerinitiative, stellte zu Beginn der Veranstaltung die aktuelle Planung für die Erweiterung des Autobahnkreuzes Oberhausen mit den Autobahnen A3, A2 und A516 vor. Es gehe darum, den Verkehrsfluss aus Richtung Köln in Richtung Emmerich und umgekehrt zu verbessern. Die Behörden hätten sich für diejenige Lösung entschieden, die den geringsten Schutz für die Natur bringe, aber mit 275 Millionen Euro (Stand 2020) am billigsten sei, führte die Oberhausener BUND-Vorsitzende an.
Der Oberhausener Stadtrat habe sich ebenfalls für den Ausbau ausgesprochen, aber für die Variante, die den Wald am meisten schont. Von zwei Millionen Quadratmetern Wald seien 368.000 Quadratmeter betroffen, die entweder gerodet, asphaltiert und/oder als begrünte Böschungen beseitigt würden. Das wären damit immerhin 18 Prozent des Waldes. Die Naturschützer schätzen, dass immerhin 5000 Bäume gefällt werden müssten.
Volker Kersting vom Verein für Sozialplanung in Magdeburg stuft es als „einmalig“ ein, wie Oberhausen inmitten von Autobahnen liege. Und der Fachmann bewertet diese Sonderstellung natürlich nicht positiv. Denn Lärm und Staub seien die Folgen, die Feinstaub-Belastung für Bürger sei hier doppelt so hoch wie der gesundheitlich von der Weltgesundheitsorganisation WHO noch gerade so als unbedenklich eingeschätzte Höchstwert. Da sei es kein Wunder, dass Oberhausen überdurchschnittlich viele Herzleiden verzeichne, Männer hätten hier die niedrigste Lebenserwartung in ganz NRW.
Der Sozialplaner merkte an, dass Oberhausener zwar viele Straßen, aber wenige Naturflächen habe. 17,4 Prozent des Stadtgebiets seien Verkehrsflächen. Ein Spitzenwert. Die Erholungsfläche pro Kopf mache nur 270 Quadratmeter aus - halb so viel wie im NRW-Durchschnitt. Auch diene der Autobahn-Ausbau nicht den Oberhausenern. Denn deren Verkehr spiele sich innerstädtisch ab. Ihrem Radwegenetz aber würden die Bürger hier nur die Schulnote 4,3 geben.
OB Schranz: „Unser öffentlicher Nahverkehr entspricht nicht einer Metropole Ruhr“
„Wo liegen Ihre Prioritäten?“, wollte WDR-Moderatorin Andrea Oster in der Diskussion von Oberhausens Oberbürgermeister Daniel Schranz wissen. „Unser öffentlicher Nahverkehr entspricht nicht einer Metropole Ruhr“, räumte der Christdemokrat ein. Aber die Städte hätten nicht mehr Geld. Oberhausen wolle jedoch die Straßenbahnlinie 105 von Essen zum Westfield-Centro bauen. Im Sterkrader Wald sollte möglichst nichts abgeholzt werden. „Nur stehen unsere Wünsche im Gegensatz zu unserem Verhalten“, sagte Schranz - und meinte damit alle Bürgerinnen und Bürger auch in Oberhausen. Jedes Jahr wachse im Stadtgebiet die Zahl der Autos – auf zurzeit 144.000.
Schranz: Lärmschutzwände für Anwohner gibt es nur bei einem Autobahnausbau
Als eine Klimaschützerin von „Fridays for Future“ fragte, wie der Oberbürgermeister zum Argument seiner Partei steht, der Autobahn-Ausbau diene dem Klimaschutz, weil weniger Stau weniger Abgase bedeuteten, erklärte er, „das mache ich mir nicht zu eigen“, wies aber darauf hin, dass es Lärmschutzwände nur bei einem Ausbau geben werde, ohne ihn nicht.
FDP-Jungpolitiker Max Baum argumentierte für den Ausbau des Autobahnkreuzes Oberhausen: Der Einfluss der wegfallenden Bäume auf das Klima sei nämlich geringer als der Effekt, den im Stau stehende Autos haben. Wenn es zudem gelingen würde, den Ausstoß an schädlichem Kohlendioxid in der Stadt um nur ein Prozent zu senken (etwa durch mehr grünen Strom), könnte man damit den Nachteil der 5000 Baumfällungen schon ausgleichen. Bäume binden bekanntlich Kohlendioxid aus der Luft. Die im Rathaus und auch bei der Bürgerinitiative bevorzugte Ausbau-Variante, die den Wald schont, sei zu teuer, rechnete er vor: 10.000 Euro pro erhaltenem Baum.
Geschäftsleute im Oberhausener Norden befürchten Nachteile durch Baustellen
Hubert Filarsky von den örtlichen Geschäftsleuten befürchtet Nachteile durch jahrelange Baustellen. Er kritisierte, in Deutschland werde falsch herum geplant. Hier stelle man Schätzungen an, wie sich der Verkehr in Zukunft entwickeln wird und baut danach die Straßen. In den USA oder der Schweiz setze man sich Ziele, ein bestimmtes Verkehrsaufkommen etwa, und baue danach.
Mario Korte von der Autobahn-GmbH Niederrhein in Essen legte eine Zeitplanung für den Autobahnausbau im Oberhausener Norden vor, der die Kritiker der Straßenerweiterung im Publikum beruhigen könnte. Aus dem für 2025 vorgesehenen Baubeginn werde auf Jahre hinaus nichts, wenn dagegen vor Gericht geklagt werde, meinte Korte. Und dass jemand gegen den Autobahnausbau klagt, sei höchstwahrscheinlich.
Geografie-Professor hält einen Interessenausgleich für möglich
Zu Beginn der Veranstaltung hatte der Duisburger Geografie-Professor Rudolf Juchelka erklärt, moderne Planung erfordere heute, einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Interessen zu finden. Das sei hier relativ einfach, weil selbst das „Bündnis zum Erhalt des Sterkrader Waldes“ den Ausbau des Autobahnkreuzes nicht grundsätzlich ablehnen würde. Wie eine solche Kompromiss-Planung aussehen könnte, sagte er aber nicht.
Im Gegensatz zu Oberbürgermeister Daniel Schranz hat sich die CDU-Ratsfraktion übrigens in diese Auseinandersetzung am Mittwochabend nicht gewagt. Am Tag vor der Diskussionsrunde mit den Fachleuten sagte die Fraktion ihre Teilnahme an der Runde oder im Zuhörer-Raum überraschend ab. Die Vertreter des Bündnisses bedauerten dies sehr: „Wir möchten doch auch die Befürworter zu Wort kommen lassen und die Argumente austauschen.“
Die CDU-Ratsleute hatten sich stets für den Ausbau ausgesprochen, sie finden nun allerdings, dass man über dieses Autobahnkreuz schon ausreichend diskutiert habe, es kämen keine neuen Gründe dafür oder dagegen auf den Tisch. „Wir sind der Meinung, jetzt sollten endlich Tatsachen geschaffen werden“, hieß es aus der Fraktion. Erstens sei der Ausbau gut für die Wirtschaft, da dann endlich der Verkehr wieder fließe und zweitens sei er gut für die Anwohner, da diese dann endlich den Lärmschutz im Norden erhalten würden.