Oberhausen. Der frühere langjährige Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hat analysiert, warum demokratische Institutionen an Ansehen verlieren.
- Professor Martin Schweer, Leiter des Zentrums für Vertrauensforschung: „Vertrauen zerstören geht ganz schnell, Vertrauen aufbauen nur in kleinen Schritten.“
- Norbert Lammert, Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung: „Bessere Verhältnisse als heute hatte Deutschland nie - und doch gab es nie so viele Zweifel an der Verfasstheit des Gemeinwesens wie derzeit.“
- Oberbürgermeister Daniel Schranz: „Das zerstörerische Potenzial von mangelndem Vertrauen machen sich Demokratiefeinde zunutze.“
Straßen als Huckelpisten mit Schlaglöchern, Sperrung maroder Autobahnbrücken, unausgegorene Grundsteuer-Lasten für Hauseigentümer und Mieter, Verfall des einst so zuverlässigen Bahnsystems, teure Heizungs-Erneuerungspflichten - Politik hat eigentlich die Aufgabe, Probleme der Staatsgemeinschaft zu lösen.
Wird diese Erwartung durch schlechte Arbeit enttäuscht, erodiert das Vertrauen in Personen und Institutionen der Demokratie. Extremisten und Populisten mit realitätsfernen, auch menschenfeindlichen Versprechen erhalten Aufwind. „Das zerstörerische Potenzial von mangelndem Vertrauen machen sich Demokratiefeinde zunutze“, befürchtet der Oberhausener Oberbürgermeister Daniel Schranz (CDU).
Doch wie tief ist der Vertrauensverlust? Wie gefährdet ist die Demokratie? Wie gewinnt man Vertrauen? Diesen Fragen geht die neue Reihe „Eine Frage des Vertrauens“ der Stadt Oberhausen nach - und hat gleich zum Auftakt der Veranstaltungsserie am Dienstag, 5. März, eine intellektuelle Größe der Parteiendemokratie in den Ratssaal eingeladen: den 75-jährigen Bochumer Christdemokraten Norbert Lammert, zwölf Jahre lang Präsident des Bundestages und heute Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Dass Deutschland nicht mehr so funktioniert wie früher, erlebt Lammert gleich bei seiner Anreise mit dem Auto am eigenen Leib: „Mir ist nicht in Erinnerung, dass ich jemals von Bochum bis Oberhausen anderthalb Stunden Fahrtzeit benötigt habe.“ Doch der promovierte Soziologe stand auch in seiner aktiven politischen Zeit nicht in dem Ruf, sich lange mit praktischen Details aufzuhalten, sondern war der Mann, der mit feingeschliffenen Satzkonstruktionen Leitlinien der Politik formulierte.
Lammert: Bessere Verhältnisse als heute hatte Deutschland nie
Und so bleibt Lammert in seinem Vortrag bei der grundsätzlichen Analyse der Zeitläufte, weder kostenträchtige Heizungsgesetze, der Zustrom flüchtender Menschen in Not, noch unkontrollierbare Hanf-Erlaubnis-Vorschriften spielen hier eine Rolle.
Er beginnt mit einem Widerspruch: „Wir leben in einem der wenigen freien Länder der Welt, leben historisch einzigartig seit 75 Jahren mit allen Nachbarn in Frieden, bessere Verhältnisse als heute hatte Deutschland nie - und doch gab es nie so viele Zweifel an der Verfasstheit des Gemeinwesens wie derzeit.“ Dabei mag es niemanden trösten, dass der Vertrauensverlust nicht nur die Politik trifft, sondern auch Banken, Medien, Wirtschaft, Kultur. „Misstrauen ist beinahe zum Normalzustand moderner Gesellschaften geworden.“ Dabei sei doch „Vertrauen das wichtigste Kapital der Demokratie“.
Trotz dieser düsteren Beschreibung ist Lammert aber nicht derjenige, der in das Wehklagen über ein drohendes Ende der Demokratie einstimmt, sondern differenziert urteilt: Nach Umfragen existiert auch jetzt eine hohe Zustimmung zur Demokratie als beste aller Staatsformen. Der Vertrauensverlust betrifft aber die aktuelle Funktionsfähigkeit demokratischer Institutionen.
Vertrauensverlust: Enttäuschte handeln auf eigene Faust
Bei Befragungen entscheiden die Menschen genau zwischen Institutionen und Personen. „Die Werte der Institutionen sind lausig, fragt man aber nach konkreten Personen, so heißt es oft, darauf kann man sich verlassen. Doch das Vertrauen in Personen wird nicht auf die Institutionen übertragen - und das ist ein großes Problem.“
Denn wer der Arbeit der Institutionen nicht traut, handelt oft auf eigene Faust, stellt die Durchsetzung seiner persönlichen Interessen stets über die Interessen der Allgemeinheit. „Zu den bedrohlichsten Fehlentwicklungen gehört, dass aus der legitimen Enttäuschung über die Vorgänge zunehmend ein Akt der Selbstermächtigung hergeleitet wird.“
Für eine überkritische Haltung sorgt aber auch die Medienwirklichkeit: die Flut an Informationen. „Noch nie gab es so einen transparenten Einblick in demokratische Prozesse - alle stehen unter Dauerbeobachtung. Wenn dann neun von zehn Personen hervorragende Arbeit leisten, aber eine Person versagt, spielt dies heute die prägende Rolle bei der Beurteilung der gesamten Institution.“
Lammert: Aufgaben so sorgfältig wie möglich erledigen
Wie es die Akteure der Demokratie aber schaffen, wieder Vertrauen zu gewinnen, darüber lässt sich Lammert nur wenig aus. Sein allgemeiner Ratschlag: „Man sollte die Aufgaben so sorgfältig wie möglich erledigen.“ Insgesamt findet er aber: „Deutschlands Demokratie steht objektiv besser da, als es dem derzeit gefühlten Zustand entspricht.“
Zuvor hat der Oberhausener Professor Martin Schweer, Leiter des Zentrums für Vertrauensforschung, aufgrund seiner wissenschaftlichen Erkenntnisse resümiert: „Vertrauen zerstören geht ganz schnell, Vertrauen aufbauen nur in kleinen Schritten.“ Je näher die Politik beim Menschen ist, desto höher sind die Vertrauenswerte. „Vertrauen bildet sich über Personen. Sie sollten andere Menschen mit Wertschätzung begegnen, authentisch sein, gut kommunizieren - kurz eine humanistische Haltung haben: Mensch sein!“
Oberbürgermeister Daniel Schranz hält drei Dinge für essenziell: „Ansprechbar sein, zuhören, Anforderungen und Entscheidungen erklären.“
Die Oberhausener Vortragsreihe „Eine Frage des Vertrauens“ soll nach dem Auftakt mit Norbert Lammert erst am Mittwoch, 9. Oktober 2024 fortgesetzt werden. Die genaue Uhrzeit und das konkrete Thema will die Stadt frühzeitig veröffentlichen.