Oberhausen. Krankmeldungen aufgrund psychischer Diagnosen nehmen zu. Doch Therapieplätze sind rar. Zwei Betroffene erzählen ihre Geschichte – und machen Mut.
Sie fühlen sich ausgelaugt, überfordert, sind von ihrer Arbeit zunehmend frustriert. Manche werden zynisch, verbittert, distanzieren sich emotional. Manchmal kommen Schlafstörungen hinzu oder Magen-Darm-Probleme. Menschen, die einen Burnout haben, büßen irgendwann ihre Leistungsfähigkeit ein, weil sie so sehr unter Druck und Stress stehen. Die totale Erschöpfung. „Innerhalb von ein paar Tagen fällt man in ein tiefes Loch“, weiß Markus Hansen-Göthel. „Man braucht schnelle Hilfe, aber es gibt keine schnelle Hilfe.“
Ihm selbst ging es so. In seinem Job als Elektromonteur hat er sich immer weiter hochgearbeitet, immer mehr Aufgaben und Verantwortung übernommen und war ständig unterwegs. „Meinen Job haben nach mir drei Leute weitergemacht“, berichtet er. Eines Tages, auf dem Heimweg aus Bayern, musste er immer wieder Stopps einlegen – „weil ich geheult habe“, erinnert sich der Oberhausener. Zu Hause angekommen, habe er sich ins Bett gelegt und sei zwei Wochen nicht mehr aufgestanden. In seinem Kopf schwirrte der Satz „Ich bin ein Versager“ herum. „Ich hatte Angst, alles zu verlieren“, sagt Markus Hansen-Göthel.
Krankgeschrieben wegen Burnouts: Neun Monate nicht zur Arbeit
Immer mehr Angestellte werden aufgrund psychischer Diagnosen krankgeschrieben. Das Burnout-Syndrom spielt dabei eine immer größere Rolle. Laut Fehlzeiten-Report der Krankenkasse AOK aus dem Jahr 2023 haben sich die Arbeitsunfähigkeitstage wegen Burnouts zwischen 2013 und 2022 von 87,6 auf 159,8 Tage um fast das Doppelte erhöht (je 1000 AOK-Mitglieder). Burnout (vom Englischen „to burn out“, auf Deutsch „ausbrennen“) ist eine mittelschwere Depression, kann sogar zu einer schweren werden.
„Derjenige, der sagt, ich habe einen Burnout, ist mutig.“
Markus Hansen-Göthel, der lange im Arbeitsschutz tätig war und heute eine Selbsthilfegruppe für Burnout-Betroffene leitet, sieht, dass die Belastung im beruflichen Kontext immer weiter zunimmt. „Seit Jahren geht es in die falsche Richtung“, sagt der 57-Jährige. „Immer mehr, mehr, mehr.“ Oliver Ölscher, Mitglied der Selbsthilfegruppe, weiß das aus eigener Erfahrung. In seinem Job gehörte er zu den besonders Ehrgeizigen und Fleißigen, stempelte aus und arbeitete trotzdem weiter.
Doch dann kam ein Urlaub, der alles veränderte. „Ich hatte Angst davor, wieder zur Arbeit zu gehen.“ Der heute 50-Jährige brach zusammen. „Ich schaffe das nicht mehr“, war sein Gedanke. Er ging zum Hausarzt und der bestätigte Oliver Ölschers Gefühl. „Sie sind schwer krank“, sagte sein Arzt und schrieb ihn direkt mehrere Wochen krank. Insgesamt ging der Bottroper neun Monate nicht zur Arbeit.
Puppenspiel orientiert sich an den zwölf Stufen des Burnouts
Er musste lernen, dass er kein „Weichei“ ist. Denn wer einen Burnout hat, der glaubt nicht mehr an sich selbst. Und es gibt Außenstehende, die diese Wahrnehmung bestätigen, indem sie etwa sagen: „Reiß dich mal zusammen!“ Das sei der schlimmste Satz, den man zu einer depressiven Person sagen kann, sind sich Oliver Ölscher und Markus Hansen-Göthel einig. Beide wissen heute, dass es ganz und gar nicht schwach ist, sich und anderen einzugestehen, dass man einen Burnout hat. Im Gegenteil:„Derjenige, der sagt, ich habe einen Burnout, ist mutig“, betont Markus Hansen-Göthel.
Gemeinsam mit den anderen Mitgliedern der Selbsthilfegruppe wollen sie Menschen für das Thema Burnout sensibilisieren. War ich schon mal in einer ähnlichen Situation? Muss ich etwas zurückfahren? Kenne ich jemanden, dem es so geht? Dazu haben sie ein Puppenspiel entwickelt, das sie am Sonntag, 10. März 2024, bei der Veranstaltung „Burnout – Zeit, dass ich etwas ändere“ vor Publikum aufführen. Los geht es um 11 Uhr im K14 an der Lothringen Straße 64 in Oberhausen. Der Eintritt ist frei.
Im Jahr 2012 gab es noch keine Selbsthilfegruppe für Menschen mit einem Burnout
Das Puppenspiel orientiert sich an den zwölf Stufen des Burnouts nach Herbert Freudenberger und Gail North. Los geht es mit Stufe 1, dem Drang, sich selbst und anderen etwas beweisen zu wollen. Eigene Bedürfnisse werden zurückgestellt. Menschen auf Stufe 2 zeigen verstärkten Einsatz, übernehmen zum Beispiel bei der Arbeit neue Aufgaben und fühlen sich unentbehrlich. Bis Stufe 12 steigert sich dieses Verhalten: soziale Kontakte werden als Belastung empfunden, Betroffene vergessen Termine, entwickeln einen inneren Widerstand, zur Arbeit zu gehen. Konflikte und Probleme werden verdrängt, die Betroffenen versuchen die innere Leere mit Spontankäufen, exzessiver Sexualität oder Drogen zu füllen. Stufe 12 zeichnet sich schließlich durch die akute Gefahr aus, psychisch zusammenzubrechen. Es besteht Suizidgefahr.
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Als Markus Hansen-Göthel im Jahr 2012 endlich wieder aus seinem Bett aufstand, suchte er sich Hilfe. Er wandte sich an die Selbsthilfekontaktstelle in Oberhausen. Doch eine Gruppe für depressive Menschen oder Menschen mit einem Burnout gab es zu dem Zeitpunkt nicht. Peter Jötten, der die Selbsthilfekontaktstelle im Jahr 2012 noch leitete, schlug Markus Hansen-Göthel daher vor, selbst eine Selbsthilfegruppe zu gründen. Das konnte der sich aber gar nicht vorstellen. „Ich wollte keine Verantwortung mehr.“
Erschöpfung muss einen Bezug zum Arbeitsplatz aufweisen
Doch er tat es und die Gruppe gewann schnell an Mitgliedern. Aktuell sind es 25. Aber: „Es gibt keine Kapazitätsgrenze“, sagt Markus Hansen-Göthel. „Wir nehmen jeden auf und versuchen, jedem Selbstwertgefühl zu geben.“ Voraussetzung für die Aufnahme ist allerdings, dass die Erschöpfung der Betroffenen einen Bezug zum Arbeitsplatz aufweist. So steht es auch in der Definition der Internationalen Klassifikation der Erkrankungen.
In Markus Hansen-Göthels Selbsthilfegruppe „Phoenix“ sind viele unterschiedliche Berufszweige vertreten. Der Name „Phoenix“ steht dabei symbolisch für den Verlauf eines Burnouts. Das langsame Ausbrennen bis zum Verbrennen – mit dem Dreh, dass die Gruppenteilnehmer wieder aus der Asche steigen. Und zwar stärker als zuvor. „Wir sehen die Augen, wenn jemand neu in die Gruppe kommt“, sagt Markus Hansen-Göthel. „Die sind leer, die sind traurig.“ Doch mit der Zeit fingen die Teilnehmenden an, wieder an sich selbst zu glauben. Und dann kehre das Leben in ihre Augen zurück.
Auch Markus Hansen-Göthel fand mit der Zeit den Glauben an sich selbst wieder. „Ich war dann stärker als vorher“, sagt er heute. Nach und nach sei er glücklich geworden – und erfolgreich. „Auch ohne Stress.“ Und heute? „Mache ich nur noch Dinge, die mir Spaß machen.“
INFO:
- „Burnout – Zeit, dass ich etwas ändere“ findet am Sonntag, 10. März 2024 von 11 bis 13 Uhr im K14, Lothringen Straße 64 in Oberhausen, statt. Wer dabei sein will, wird gebeten, sich für eine bessere Planung anzumelden. Möglich ist das unter 0208 825 2385 oder per Mail an vhs@oberhausen.de und vorort-ob@t-online.de.
- Die Veranstaltung ist Teil der von Peter Jötten organisierten Reihe „Ich fühle mich, aber wie“. Ende November 2023 fand die Auftaktveranstaltung statt. Die Nachfrage war groß, berichtet der 72-Jährige. Mehr als 60 Personen nahmen daran teil.
- Laut Peter Jötten gab es im Jahr 2023 viele Hilferufe im Bereich der psychischen Erkrankungen. Durch die Corona-Pandemie seien soziale Kontakte weggebrochen, es herrsche eine große Verunsicherung unter anderem wegen des Ukrainekrieges sowie in vielen Berufszweigen eine starke Belastung. Der Bedarf nach Hilfs- und Informationsangeboten im Bereich psychische Erkrankungen nehme daher zu.
- Es sind noch weitere Veranstaltungen geplant. Die dritte findet am Sonntag, 26. Mai 2024 ebenfalls von 11 bis 13 Uhr im K14 statt. Thema wird sein, welche Möglichkeiten der Hilfestellung es in psychischen Krisensituationen gibt.