Oberhausen. Wenn Bomben entschärft werden, müssen Bereiche evakuiert werden. Das bedeutet: Viele Treppen für Ordnungsamtsbeschäftigte. Ein Report vor Ort.
Aus dem oberen Fenster lugt ein Kopf hervor: „Ja bitte?“ Ein Mann in blauer Uniform steht auf dem Gehweg und bittet mit freundlicher Stimme um Einlass. Die Tür surrt, der Mitarbeiter des Kommunalen Ordnungsdienstes, kurz KOD genannt, steigt mit dynamischen Schritte die Treppen rauf. Die Frau oben empfängt ihn neugierig. Jaja, sie wisse Bescheid. Und als ob sie vor einem Richter Auskunft geben müsste, erläutert sie ihre Pläne. „Ich fahre zu einer Freundin nach Bottrop. In etwa 30 Minuten.“
So geht das an diesem Dienstagnachmittag oft im Oberhausener Stadtteil Sterkrade, genauer gesagt auf ein paar Straßen am Rand der Innenstadt. Etwa 200 Meter von hier liegt eine Fünf-Zentner-Bombe. Durchaus nichts Ungewöhnliches im Ruhrgebiet. Aber die Gefahr, die aktuell von diesem todbringenden und nun freigelegten Ungetüm ausgeht, ist fast so hoch wie kurz nach ihrem Abwurf im Zweiten Weltkrieg.
Bombenentschärfung in Sterkrade: Viele Menschen, viele Treppen
Den Ernst der Lage verdeutlicht an diesem gewöhnlichen Wochentag, dass der Kommunale Ordnungsdienst an den Wohnungen von 900 Menschen klingelt und sich vergewissert, dass sie entweder nicht da sind, oder aber bald gehen werden. Oder gar nicht dort sein wollen.
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Die zwei Männer des KOD, die wir begleiten, haben auf dem Handy und ausgedruckt eine Karte mit dem Evakuierungsradius. Darauf kann man erkennen, welche Häuser zum Zeitpunkt der Entschärfung menschenleer sein müssen. Denn nichts kann man beim Umgang mit alten Bomben wirklich komplett ausschließen: Die Gefahr einer Explosion existiert. Bevor an den Wohnungstüren losgeklingelt wird, schauen sich die Männer das Kartenmaterial sehr genau an. Sie wollen kein Haus, keine Klingel vergessen. Das bedeutet aber auch: Sie müssen viele Treppen steigen. „Man sollte schon körperlich fit sein“, sagt einer der Männer. Klingeln, Treppensteigen, klopfen, erklären. Und das ganze von vorne.
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In den meisten Fällen macht niemand auf. Wenn es surrt, sind die Menschen meist nicht überrascht. Per Handy haben sie schon von der Sprengung erfahren, sie wollen eh gerade aufbrechen, heißt es oft. Möglich ist auch, dass sich jemand versteckt, gar nicht erst aufmacht, weil er lieber bleiben möchte. „Wenn keiner aufmacht, ist eben keiner da“, sagt ein Mann. Für bettlägerige und pflegebedürftige Menschen gibt es einen Fahrdienst und eine Sammelstelle. Öffnen Kinder, werden sie gebeten, ihren Eltern Bescheid zu sagen. Bei einem späteren Rundgang schauen die Mitarbeitenden dann nochmal nach. Und ist in der Wohnung ein lauter Fernseher zu hören, wird eben auch so laut geklopft, dass einer aufmacht. „Ja bitte? Jaja, ich weiß schon.“
Evakuierung: Wenn sich jemand offen weigert, rückt die Polizei an
Die Männer des KOD sind routiniert. Sie haben schon einige Evakuierungen mitgemacht. In Holten kommt es immer wieder zu Entschärfungen. „Die Bewohner sind deswegen resistenter“, berichtet ein Mann des KOD. Diskussionen kommen schon mal vor; die Bereitschaft, die eigenen vier Wände zu verlassen, sinkt. Bei einer früheren Entschärfung weigerte sich einmal sogar eine ganze Gruppe, die Polizeistreife musste anrücken und die Menschen aus dem Evakuierungsradius bringen.
Offene Weigerungen kommen zum Glück selten vor. „Dann holen wir die Polizei hinzu“, sagt einer der Männer. Aber man bräuchte als Mitarbeiter des KOD schon ein dickes Fell. „Man sollte das nicht zu nah an sich ranlassen.“ Der Ordnungsdienst ist nicht immer gerne gesehen. Die Männer bemühen sich deshalb um eine freundliche Ansprache mit „deeskalierender Wirkung“. Nicht alle Hauseingänge wirken einladend, manche sind verstellt, die Klingelschilder rausgebrochen, in den Ecken liegt Dreck. Ein mulmiges Gefühl, sagt der Mitarbeiter des KOD, habe er deswegen aber nie. „Die Menschen tun einem ja nichts. Die haben nur andere Lebensweisen.“
Bombenentschärfung: Anwohner bleiben entspannt und gehen ins Kino
Bevor die Teams des Ordnungsdienstes um 13 Uhr ihre Runden durch den Evakuierungskreis drehen, hat sich der Großteil schon auf die Reise begeben. Manch ein Anwohner nutzt die Zeit für Angenehmes. „Wir besuchen unsere Tochter“, sagt ein älteres Ehepaar, das gerade ins Auto einsteigt. Sorgen machen sie sich keine. „Das sind doch erfahrene Leute.“ In einem kleinen Supermarkt wird indes noch gerätselt, ob sie wirklich zu machen müssen. Die Hausnummer fehlt auf der Liste der Stadt. Andere haben die Rollläden längst geschlossen. „Ich muss noch ein paar Sachen abholen, dann bin ich weg“, sagt ein Anwohner. „Ich geh später ins Kino.“ Da gibt‘s auf jeden Fall mehr zu sehen.