Oberhausen. Nicht nur berufstätige Eltern müssen zittern: Können ihre Kinder in Schulen und Kitas noch ausreichend in Zeiten der Sparpakete betreut werden?
Nach der Zitterpartie ist vor der Zitterpartie: Eltern müssen immer wieder bangen, ob längere Betreuungszeiten ihrer Kita, ob die Nachmittagsbetreuung an den Grundschulen überhaupt noch aufrechterhalten kann. Wer berufstätig ist, hätte dann nicht nur in den langen Sommerferien Probleme, die Versorgung seines Nachwuchses zu sichern, um seinen Job nachzugehen.
Deshalb waren viele Eltern in Oberhausen auch so aufgeschreckt, als die Wohlfahrtsverbände in höchster finanzieller Not in einem Brandbrief im November androhten, Kitazeiten von 45 auf 35 Wochenstunden zu reduzieren sowie die Früh- und Spätbetreuung im Offenen Ganztag (OGS) an den Grundschulen ganz einzustellen. Und auch die Schulsozialarbeit und ausgerechnet die wichtige Fallmanager-Arbeit für Zuwandererfamilien im Kommunalen Integrationsmanagement (KIM) standen auf der Kippe. Sogar zu einer Protest-Demo haben die Wohlfahrtsverbände vor dem Rathaus am Montag, 11. Dezember, aufgerufen - diese ist nun abgesagt.
Soziale Aufgaben: Stadt Oberhausen stopft Finanzlöcher der Anbieter
Denn um zu retten, was im Interesse der Gesamtgesellschaft unbedingt zu retten ist, springt nun ausgerechnet die verarmte Stadt Oberhausen für die sozialen Träger der Kinderbegleitungsangebote ein: 3,5 Millionen Euro nimmt Kämmerer Apostolos Tsalastras noch im Haushalt 2023 an neuen Schulden auf, um in einer Notaktion die Betreuung bis Sommer nächsten Jahres im Stadtgebiet zu erhalten. Das haben Verhandlungen zwischen den Sozialverbänden und der Stadt in den letzten Tagen erreicht - obwohl die Stadt Oberhausen im Grunde mit dem Stopfen von Finanzlöchern dieser Angebote nichts zu tun hat.
Die Sozialträger sind aus zwei Gründen nicht nur in Oberhausen in die Finanzmisere geraten: Die Zahl der zu betreuenden Kinder und Jugendlichen wächst und die Löhne der Beschäftigten stiegen überraschend stark, um die Folgen der Inflation abzumildern. Um die Gehälter ihrer Leute zu bezahlen, griffen die Wohlfahrtsverbände sogar schon auf ihre Rücklagen zurück, die eigentlich für anderes gedacht waren, etwa für die Wärmedämmung ihrer Gebäude.
Kita-Betreiber: Wir gehen in die Knie
„Die Notlagen in unserer Gesellschaft steigen objektiv und die Tarifabschlüsse unterstützen wir auch, aber wir können diese Kostensteigerungen nicht mehr kompensieren. Wir sind am Ende, wir gehen in die Knie“, schildert Mauno Gerritzen, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Wohlfahrtsverbände in Oberhausen, bei einem Treffen mit der Stadtspitze im Rathaus die dramatische Lage. „Wir sind sehr dankbar, dass sich die Kommune trotz ihrer schlimmen Finanzlage bewegt, während das zuständige Land so gut wie gar nichts macht.“ Sein Kollege Frank Domeyer, Geschäftsführer des Oberhausener Diakoniewerkes, beschreibt den grundsätzlichen Konstruktionsfehler: „Ausgangspunkt der Misere ist die seit vielen Jahren anhaltende nicht auskömmliche Finanzierung der sozialen Angebote durch Land und Bund.“
Eine gute Kitabetreuung, gar einen individuellen Gesetzesanspruch auf einen Kita-Platz, eine ordentliche bildungsorientierte Nachmittagsbetreuung an Grundschulen, Sozialarbeiter als Ansprechpartner an allen Schulen in sozial schwierigen Stadtteilen - Land und Bund wollen das, verankern dies in Gesetze, doch am Ende würden diese Angebote nicht ausfinanziert, beobachten nicht nur die Sozialverbände, sondern auch Oberbürgermeister Daniel Schranz. „Seit Jahrzehnten geht das so, dass sich Bundes- und Landespolitiker über alle Parteien hinweg zurecht mit den gesellschaftlichen Problemen beschäftigen und dafür Lösungen finden, doch wenn es darum geht, diese dann auch komplett zu bezahlen, dann passiert das nicht. Wir müssen endlich auf den politischen Ebenen das Konnexitätsprinzip beachten: Wer etwas bestellt, muss es auch bezahlen.“
So bleibt es aber am Ende zunächst einmal bei den Sozialträgern hängen, also den Kita-Betreibern oder Organisatoren des Offenen Ganztags, wenn plötzlich Löhne stark steigen oder die Problemlagen durch Multi-Krisen wie Corona und Kriegsflüchtlinge zunehmen. Wenn die aber nicht mehr können, dann müssen Städte wie Oberhausen einspringen, um das soziale Angebot aufrechtzuerhalten, obwohl im Grund kein Geld mehr in den Kassen vorhanden ist.
Technisch übernimmt die Stadt Oberhausen in diesem Fall für 2023 einen Teil der Lohnkosten für die Träger: Die Inflationsausgleichsprämie von 3000 Euro für die Betreuer im Offenen Ganztag (knapp 500.000 Euro) und für die Kita-Erzieherinnen (knapp eine Million Euro). Oder die Stadt erhöht ihren Anteil an der Finanzierung einmalig, wie bei den Schulsozialarbeitern (180.000 Euro). Zudem sind für 2024 Lohnkostensteigerungen von drei Prozent im Hilfspaket der Stadt eingeplant.
Ab Sommer 2024 geht die Zitterpartie für Eltern weiter
Doch eine Dauerlösung kann dies schon alleine deshalb nicht sein, weil Oberhausen mit einem Finanzloch zwischen Einnahmen und Ausgaben von 100 Millionen Euro im nächsten Jahr kalkulieren muss - und damit einem Nothaushalt entgegen taumelt. Dann dürfte Oberhausen nur noch Pflichtaufgaben finanziell stemmen. So ruht bei allen Beteiligten die Hoffnung auf dem Land: Die schwarz-gelbe Landesregierung muss aus ihren Töpfen ab Sommer 2024 mehr ausschütten. Doch da gibt es zwar einige Versprechen, beispielsweise die Kita-Finanzierung aufzustocken, doch spruchreif ist davon noch nichts.
Und so müssen Eltern von kleineren und größeren Kindern wieder dem Sommer entgegen zittern: Nur bis dahin sichert das in aller Eile zusammengeschnürte Hilfspaket der Stadt die Betreuung an den Grundschulen und in den Kitas. Wenn das Land bis dahin nicht handelt, steht wieder alles auf dem Spiel: die Dauer der Betreuung in den Kitas, die Spät- und Frühschichten an den Grundschulen.
Familiendezernent Jürgen Schmidt hofft, dass Land und Bund das Schicksal der Kinder in den Blick rücken, und nicht dafür sorgen, dass die Träger der sozialen Angebote aufgeben: „Wir müssen die Trägervielfalt auch aus dem Blick der Kinder und Jugendlichen erhalten, damit diese nicht ständig wechseln müssen und Kontinuität mit ihren Betreuerinnen und Betreuern haben.“