Oberhausen. Die NRW-Reform wird Oberhausener Krankenhäuser umkrempeln: Ob Hüfte, Knie, Fettleibigkeit oder Schlaganfall – es droht weniger Expertise vor Ort.
Die vom Land angestoßene Krankenhausreform trifft die sechs Oberhausener Krankenhäuser und damit die 210.000 Einwohner der Stadt viel stärker, als bisher in der Öffentlichkeit bekannt ist.
Die NRW-Reform soll bereits ab 2025 in Kraft treten und krempelt die Krankenhauslandschaft im Ruhrgebiet gehörig um. Durch die Konzentration von Leistungen auf wenige Krankenhäuser, um die Qualität der medizinischen Ergebnisse zu verbessern, wird Oberhausen Anlaufstellen verlieren.
Nach den Verhandlungen zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern zeichnet sich ab, dass im NRW-Versorgungsgebiet 2 (Oberhausen, Mülheim und Essen) vor allem die größere Nachbarstadt profitieren wird: Mehr Behandlungsfelder als bisher werden hier zusammengezogen. Das zumindest geht aus einer ausführlichen Stellungnahme des städtischen Gesundheitsamtes und der Gesundheitskonferenz mit Klinikbetreibern, Patientenbeauftragten und Arztpraxen an die Bezirksregierung Düsseldorf hervor.
Gesundheits- und Sozialdezernent Frank Motschull singt trotzdem kein Klagelied zur Klinikreform. „Das Ruhrgebiet hat die dichteste Kliniklandschaft in Deutschland. Dass sich die Krankenhäuser hier spezialisieren, ist grundsätzlich im Sinne der Qualität für Patienten richtig.“ Da sei ein ausgezeichneter Ort für Spezialbehandlungen und Operationen für Oberhausener meist sehr gut erreichbar. „Ich sehe keine grundsätzliche Gefahr für den Gesundheitsstandort Oberhausen.“ Motschull hätte es allerdings wegen der engen Verflechtungen im Ruhrgebiet lieber gesehen, wenn zum Versorgungsgebiet neben Oberhausen, Essen und Mülheim auch noch Duisburg und Bottrop gehört hätten, um ihre Expertisen abzusprechen. NRW ist in 16 Versorgungsgebiete eingeteilt, die ihre Spezialisierungen untereinander abstimmen.
Dennoch gibt es nach Ansicht des Oberhausener Amtsarztes Dr. Emanuel Wiggerich und den Gesundheitsakteuren vor Ort noch etliche Punkte, die geklärt werden müssen, bevor die Reform in der Praxis greifen darf.
Beispiel Palliativmedizin: Die wichtige Schmerzlinderung und psychische Betreuung von Schwerstkranken mit geringer Lebenserwartung soll in den Oberhausener Krankenhäusern wegfallen. Die hiesige Gesundheitskonferenz hält diese Kürzung von Leistungen „zumindest für fragwürdig“, da die Bevölkerung immer älter wird und schlimme Krebserkrankungen zunehmen. Zudem drohe dadurch die gewachsene Struktur der Palliativ-Betreuung von Bürgern inklusive Anbindung an Hospize zerstört zu werden.
Beispiel Stroke Unit: Eine Spezialeinheit für Schlaganfall-Patienten darf in Oberhausen nur noch das St. Clemens-Krankenhaus von Ameos einrichten – bei niedrigeren Fallzahlen als anvisiert. Die Mülheimer Stroke Unit fällt weg, es bleiben für Oberhausener neben dem Clemens nur noch Essener Krankenhäuser übrig. Kritisch beschreibt das Gesundheitsamt die Situation: „Für Oberhausen sind angesichts vieler Raucher überproportional viele Fälle von Schlaganfällen zu erwarten. Dabei handelt es sich um ein zeitkritisches Ereignis. Insofern ist es nicht akzeptabel, die Patienten aus Oberhausen bis nach Essen zu transportieren.“
Beispiel Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde (HNO): Die Belegung von Betten im Sterkrader St. Clemens und in der Helios-Elisabeth-Klinik durch HNO-Praxen wird künftig komplett wegfallen – ebenso in Mülheim. Patienten müssen also nach Essen kurven. Das Gesundheitsamt hält dies vor allem für Kinder schlimm, deren Mandeln entfernt werden müssen. „Die weiteren Wege sind für Familien mit Kindern nicht akzeptabel, denn Eltern müssen ihre Kinder während des stationären Aufenthaltes besuchen.“ Zudem gebe es die Gefahr, dass HNO-Praxen in Oberhausen abziehen, wenn sie keine Möglichkeit mehr haben, die eigenen Patienten in einem nahen Krankenhaus zu operieren.
Beispiel Kinder- und Jugendpsychiatrie: Vorgesehen ist teilstationär nur noch die Tagesklinik Mülheim/Oberhausen – das bedeutet weniger Kapazitäten, weniger Plätze. Doch da Oberhausen einen überproportional großen Teil an Kriegsflüchtlingen aufgenommen hat, geht das Gesundheitsamt von überdurchschnittlich hohen Patientenzahlen aus. „Für die Stadt Oberhausen muss sogar überlegt werden, ob nicht der zusätzliche Bedarf gedeckt werden kann durch Tageskliniken an zwei Oberhausener Krankenhäusern mit psychiatrischer Abteilung.“
Beispiel Endoprothetik Hüfte und Knie: Sollten die Oberhausener Kliniken – wie derzeit geplant – künstliche Gelenkprothesen nicht mehr operativ einbauen können, fällt nach Ansicht der Gesundheitskonferenz eine wichtige wirtschaftliche Säule der Krankenhäuser weg. Denn diese Operationen helfen, eine gesamte unfallchirurgische Abteilung finanzieren zu können. Helios-Elisabeth und Ameos-Clemens sollen nach den bisherigen Plänen diese Knie- und Hüftprothesen-Operationen nicht mehr anbieten dürfen. „Es besteht die Gefahr, dass diese beiden Kliniken aus wirtschaftlichen Erwägungen ihre jeweiligen unfallchirurgischen Abteilungen schließen. Damit hätten wir, insbesondere im Norden, eine große Versorgungslücke“, warnt die Gesundheitskonferenz.
Beispiel Bariatrische Chirurgie: Operationen, um Körpergewicht zu reduzieren, sollen im St. Elisabeth-Krankenhaus der Helios-Gruppe stark gekappt werden, obwohl die Klinik auch überregional bekannt für ihre Adipositas-Behandlungen ist. Die Gesundheitskonferenz rechnet aber in Zukunft mit viel mehr Menschen, die unter Fettleibigkeit leiden. „Es sollte dringend über eine Erhöhung der Fallzahlen auf Oberhausener Gebiet diskutiert werden.“
Bisher sind der Landesregierung nach dem grundlegenden Gesetz für die künftige Krankenhausplanung in NRW aus allen 16 Versorgungsgebieten erste Konzepte zu den künftigen Aufgaben der Kliniken vorgelegt worden. Jetzt trudeln dort die Stellungnahmen der kommunalen Gesundheitskonferenzen ein. Deshalb ist bisher noch nichts festgelegt, sondern die Landesregierung wird alle Meinungen und Bedenken in den Gesamtplan einfließen lassen. Das NRW-Gesundheitsministerium wird dann Ende 2024 die konkreten Versorgungsaufträge an die einzelnen Krankenhäuser erteilen, die ab 2025 umgesetzt werden müssen.