Leer/Oberhausen. Die Oberhausener SPD hat ein brisantes Konzept beschlossen: Arme Stadtteile sollen viel mehr Geld erhalten, reichere deutlich weniger als bisher.
Zeitenwende und Epochenbrüche überall – selbst die SPD Oberhausen, in Teilen eher strukturkonservativ verortet, bricht zu neuen Ufern auf: Die Partei will die gesamte Investitions- und Förderpolitik der Stadt umkrempeln.
„Die Zeiten der Gießkanne, die Zeiten der gleichmäßigen Verteilung von Mitteln im Stadtgebiet sind vorbei, wir vollziehen einen Paradigmenwechsel“, bilanziert SPD-Ratsfraktionschefin Sonja Bongers nach einer dreistündigen Diskussion der Fraktion auf ihrer diesjährigen Klausurtagung im ostfriesischen Leer das neue Politikkonzept. Auf Basis der teils alarmierenden Sozialanalysen der Stadtspitze in den Jahren 2017 und 2022 verkündet die SPD-Fraktion diese Leitidee: „Wir wollen kein Quartier zurücklassen.“ Die Anlehnung an den berühmten Spruch der früheren NRW-SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft („Kein Kind zurücklassen“) ist natürlich bewusst gewählt.
Anhand der Sozialindikatoren (Arbeitslosigkeit, Zuwanderer-Anteil, Hartz-IV-Empfänger, Alleinerziehende, Kaufkraft) könne jeder Bürger erkennen: „Wir haben in Oberhausen zwar keine Ghettos, aber wir haben ein klares Nord-Süd-Gefälle; einzelne Quartiere, einzelne Straßenzüge drohen abzurutschen. Dagegen müssen wir etwas machen, wir müssen handeln, auch wenn die finanziellen Spielräume künftig noch enger werden“, fordert die Fraktionsvorsitzende.
SPD Oberhausen: Kein Mangel an Erkenntnissen, aber Mangel an Umsetzung
Offen wie selten zuvor räumt Ercan Telli, sozialpolitischer Sprecher der Fraktion, ein: „Wir haben keinen Mangel an Erkenntnissen, aber sehr wohl einen Mangel an Umsetzungen und Überprüfungen des bisherigen eingesetzten Geldes.“ Gerade auch, weil die nächsten Jahre mit hoher Wahrscheinlichkeit ein finanziell noch schwierigerer Zeitraum werden, müsse man die Mittel zielgenauer einsetzen als bisher. „Wir wollen im nächsten Sozialbericht 2024 wissen, was wie wirkt, was wirklich nützt, um dann zu klären, was brauchen wir nicht mehr, was müssen wir ändern, was müssen wir neu auflegen.“ Die Fraktion sei sich nach leidenschaftlicher Debatte einig. „Wir müssen Ungleiches ungleich behandeln.“
Für Oberhausen würde das eine erhebliche Wende in der Lokalpolitik bedeuten: Waren bisher die großen Fraktionen von SPD und CDU sehr bedacht darauf, dass stets alle drei Stadtbezirke Sterkrade, Osterfeld und Alt-Oberhausen zu gleichen Teilen mit Renovierungen, Sanierungen, Neuerungen bedacht werden, so soll dies künftig bei städtischen Investitionen und Dienstleistungen nicht mehr gelten.
Beispielsweise der sozial schwierige Stadtteil Lirich-Süd würde dann bei Investitionen in Schulen, Turnhallen, Straßen, Sportplätze viel stärker bedacht werden als das viel reichere Königshardt. Das Gleiche soll für Beratungs- und Bildungsangebote gelten. „Wir müssen das in Gänze betrachten. Wir wollen das Geld da einsetzen, wo der Bedarf am größten ist“, sagt Telli. „Es ist auch nicht so, dass die reicheren Quartiere keinen Cent mehr bekommen, allerdings erhalten die ärmeren viel mehr.“
Dass diese grundsätzliche Entscheidung der 19-köpfigen SPD-Fraktion im Rat zu erheblichen Konflikten führen wird, wenn es zu konkreten Vorhaben kommt und Teile des Nordens weniger berücksichtigt werden als bisher, ist allen Sozialdemokraten klar. „Letztendlich trifft es alle Stadtteile, wenn es einigen Quartieren schlecht geht. Deshalb ist es im Sinne aller, wenn wir in die Quartiere mit Problemen investieren“, meint Ercan Telli.
In dieser Logik erteilt die Landtagsabgeordnete Sonja Bongers der bisher bevorzugten Sparmethode von Oberhausen eine Absage, bei Finanzlöchern überall gleichmäßig pauschal nach einem Prozentsatz zu kürzen. „Wir müssen hier Prioritäten setzen.“ Und die Priorität liegt bei der SPD künftig bei ärmeren Stadtquartieren. Mit den anderen demokratischen Parteien im Rat will die SPD über diesen neuen Weg diskutieren – und Vereinbarungen treffen.