Oberhausen. Soll der Paragraf 218 abgeschafft werden? Darüber gab es in Oberhausen einen Schlagabtausch zwischen Vertretern völlig gegensätzlicher Lager.
Alle waren sie gekommen: Lokalpolitiker der Grünen, der CDU und der SPD, der Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, die Leiterin des Frauenhauses, Vertreter der katholischen und evangelischen Jugend. Der Klosterladen in Sterkrade platzte aus allen Nähten. Sogar im Eingang standen sie und wollten dabei sein, wenn der oberste Laien-Katholik der Stadt und die Gleichstellungsbeauftragte in den Ring steigen, um sich die Köpfe heiß zu diskutieren über das umstrittene Thema. Weg mit Paragraf 218 oder nicht? Was die Gäste des Debattierclubs des Katholikenrats erlebten, war dann kein juristisches Geplänkel darüber, ob eine Abtreibung gesetzlich verboten und damit die abtreibende Frau eine Kriminelle sein sollte. Vielmehr gab es leidenschaftliche Plädoyers für zwei Positionen, die schlecht zu vereinbaren sind – und dennoch gemeinsame Schnittpunkte haben.
Von „unversöhnlichen Positionen“ sprach auch Thomas Gäng, Katholikenrats-Vorsitzender und Gastgeber dieses Abends, als er gleich zur Begrüßung das Publikum mahnte: „Wir wollen dennoch wertschätzend debattieren.“ Auch FDP-Politiker Marc Hoff, der die Diskussion moderierte, schwor die Gemeinschaft ein, als würden hier bei anderer Gelegenheit schon einmal die Weingläser fliegen: „Wir wollen sachlich bleiben – auch wenn heute Welten aufeinanderprallen werden.“ Wenn man sich umschaute in dem kuschligen kleinen Café mit Möbeln wie in Uromas Wohnküche, saßen da keine aufgepeitschten Radikalen, sondern vor allem Damen und Herren mittleren und höheren Alters, die sich höflich zu Wort meldeten und einander ausreden ließen.
Abtreibungs-Debatte in Oberhausen: Fairplay trotz gegensätzlicher Positionen
Auch Thomas Gäng und seine Debattier-Gegnerin Britta Costecki, die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Oberhausen, blieben fair. Zum Glück, alles andere wäre des Themas nicht würdig gewesen. Beide erneuerten freilich ihre Positionen. „Für mich steht die Selbstbestimmung der Frau an erster Stelle“, sprach sich Costecki für die Entscheidungsfreiheit bei einer ungewollten Schwangerschaft aus. Dem wollte Gäng zunächst nicht widersprechen: „Die Frau sollte selbst entscheiden. Da werden wir als Christen niemanden verurteilen.“ Doch wolle er sich als Vertreter des ungeborenen Lebens stark machen, „was in der Debatte zu kurz kommt“.
Wer Britta Costecki sonst nur als resolut auftretende Person kennengelernt hatte, konnte zumindest vor Beginn der Debatte eine andere Seite von ihr erleben: Sie war auf sympathische Weise ziemlich aufgeregt, als begäbe sie sich in die Höhle des Löwen. Ein bisschen war es ja auch so, da Thomas Gäng sich bereits bei der bundesweiten politischen Debatte um den Paragrafen 219a (Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche) lautstark zu Wort gemeldet und im Sinne der katholischen Kirche gegen die Abschaffung dieses Gesetztes ausgesprochen hatte. Auch an diesem Abend flammte diese Streitlust kurz auf, als Gäng, der im Hauptberuf Sparkassen-Vorstand ist, versuchte, gleich zu Beginn mit der Gretchenfrage das Publikum zu mobilisieren. „Ab wann ist Leben Leben?“, fragte er in die Runde. „Was meinen Sie dazu?“ Doch Britta Costecki ließ ihm das nicht durchgehen, ergriff das Wort und sagte, wieder selbstbewusst wie sonst auch, dass es vorher doch noch andere Dinge zu besprechen gäbe.
Für sie, betonte Costecki abermals, sei vor allem zu erörtern, ob diese Fragestellung ins Gesetzbuch gehört. „Das ist eine Kriminalisierung, das spüren die Frauen. Das ist tief drin in den Köpfen.“ Dieses stark empfundene Gefühl, etwas Verbotenes getan zu haben, führe zur Tabuisierung des Themas in der Gesellschaft – „und der Frauen sogar sich selbst gegenüber“.
Katholikenrat versus Gleichstellungsbeauftragte: Ist Abtreibung eine Tötung?
Viel Applaus erhielt die Gleichstellungsbeauftragte für ihre zumeist emotionalen Plädoyers, überraschenderweise mehr als Gäng, der doch ein Heimspiel hätte haben müssen. So argumentierte SPD-Mann Hubert Cordes: „Als gläubiger Katholik verstehe ich, dass die Kirche die Abtreibung verteufelt. Aber dass der Staat den Frauen die Entscheidungsfreiheit abspricht, verstehe ich nicht.“ Eine Offenlegung von Emotionen, die vielleicht viele umtreibt, die im Glauben verwurzelt und zugleich auch demokratisch gesinnt sind. Sozialarbeiterin Ute Hauke sprach von einer Diskriminierung, die die Hälfte der Menschheit erdulden müsse, „weil sie mit einer Gebärmutter zur Welt gekommen ist“.
Gäng legte nach, wurde auch schärfer in der Formulierung: „Ich verstehe das menschliche Dilemma, aber ich möchte den Blick weiten auf das ungeborene Leben. Am Ende ist es das: die Tötung eines Menschen.“ Auch für diese Meinung gab es Befürworter in der Runde. Es meldeten sich Männer wie Frauen zu Wort, die darlegten, dass für sie das Leben ab der ersten Zellteilung beginnt. Es kam das Argument, dass Frauen es bestimmt bereuen würden und deshalb von einem anderen Weg überzeugt werden sollten. Oder dass sie Schwangerschaft und Geburt durchstehen und das Kind dann anderen übergeben sollten, die sich sehnlichst eines wünschten.
Keine der Oberhausener Kliniken führt eine Abtreibung durch
Doch es überwogen die Stimmen, die es anders sahen. Besonders unter die Haut ging ein Beitrag von Suna Tanış, Leiterin des Oberhausener Frauenhauses, die von einer verprügelten und vergewaltigten Geflüchteten erzählte, die das Kind ihres Peinigers nicht austragen wollte. Jemand anderes erzählte von einer Frau, die sich nach einer Vergewaltigung gegen eine Abtreibung entschieden hatte, aber darüber psychisch erkrankt war. Ihren zehnjährigen Sohn hatte sie nicht ein einziges Mal umarmen können.
Auch wenn die Debattenbeiträge feuriger wurden, sich viele Gäste zu Wort meldeten, es blieb respektvoll und freundlich, so wie es zu Beginn des Abends gewünscht wurde. Eine Leistung, die man allen Anwesenden hoch anrechnen kann. Zum Schluss konnte man sogar eine Art Konsens heraushören: Darüber, dass viel mehr getan werden muss dafür, dass junge Mädchen und Jungen sich besser mit Sexualität auskennen und auch viel mehr für die Frauen, die unerwünscht schwanger sind, sich jedoch bei guter Unterstützung trotzdem für ein Leben mit Kind entscheiden würden. Britta Costecki formulierte auch eine handfeste Forderung: „Wir müssen ein Krankenhaus in Oberhausen dazu bewegen, dass es Abtreibungen durchführt.“ Was die Frauen zurzeit durchmachen müssten, unter Zeitdruck und psychischem Stress, weil nur ein einziger Arzt zur Verfügung stehe, sei „menschenunwürdig“.
Auch wenn keiner den anderen restlos überzeugt hatte, auch wenn Thomas Gäng zum Abschluss noch auf die Tränendrüse drückte mit dem Gleichnis der Zwillinge, die sich im Bauch über ihre Mutter unterhalten, so wurden doch alle mit vielen neuen Gedanken im Kopf in den lauen Sommerabend entlassen.
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