Oberhausen. Eine landesweite Kampagne fordert zum Weltfrauentag mehr Plätze und weniger Hürden für Frauen in Not. Was sich in Oberhausen bald verbessert.

„Rauf die Plätze, fertig, los“ lautet der Titel einer Kampagne der Landesarbeitsgemeinschaft Autonomer Frauenhäuser, die am Weltfrauentag (8.3.) startet und auf den Platzmangel und die Zutrittshürden in den Hilfseinrichtungen aufmerksam machen will. Denn wer weiß schon, dass man im Frauenhaus Miete zahlen muss? „Die Öffentlichkeit soll sehen, wie wir arbeiten“, sagt Suna Tanış, Leiterin des Oberhausener Frauenhauses. Sie arbeitet zusammen mit ihrem kleinen Team nach allen Kräften daran, so vielen Gewaltopfern wie möglich eine Zuflucht zu gewähren. Doch es wird ihnen nicht leicht gemacht.

Sie haben Platz für elf Frauen und sieben Kinder, „und wir sind voll bis obenhin“, sagt Suna Tanış. Das wäre nicht schlimm, wenn sie wüsste, dass die Frauen bald in eine eigene Wohnung ziehen und sie wieder neue aufnehmen könnten. Doch das ist schon lange nicht mehr so. „Vor sechs Jahren“, sagt Tanış, „konnten wir hundert bis 120 Frauen und Kinder pro Jahr aufnehmen. Im Moment sind es 30.“ Ein krasser Missstand, der dadurch zustande komme, dass der Markt für günstigen Wohnraum total leer gefegt ist. „Es ist eine Katastrophe“, sagt die Erziehungswissenschaftlern.

500.000 Euro Förderung für einen barrierefreien Anbau

Es gibt jedoch noch viele weitere Probleme, mit denen Suna Tanış und alle anderen Mitarbeiterinnen in autonomen Frauenhäusern zu kämpfen haben. So gut wie keines der Häuser sei barrierefrei, „aber es kommen viele Frauen oder Kinder mit Behinderungen zu uns.“ In Oberhausen habe Tanış sich drei Jahre lang mit dem Antrag auf Fördergelder für einen barrierefreien Anbau herumgeschlagen. Dann wurden 500.000 Euro zugesagt, ein Segen. „Im Oktober ist der Anbau fertig, dann können wir eine Frau mit körperlichen Einschränkungen aufnehmen.“ Noch heute habe die Einrichtungsleiterin einen Kloß im Hals, wenn sie an eine Mutter denke, die mehrmals am Tag ihre 14-jährige behinderte Tochter auf dem Rücken die Treppen hoch- und runtergetragen hat, damit sie am Leben im Frauenhaus teilnehmen konnte.

Kämpft seit 18 Jahren für die Rechte gequälter Frauen: Suna Tanış, Leiterin des Frauenhauses in Oberhausen.
Kämpft seit 18 Jahren für die Rechte gequälter Frauen: Suna Tanış, Leiterin des Frauenhauses in Oberhausen. © FUNKE Foto Services | Ulla Michels

Eine weitere Windmühle, gegen die es zu kämpfen gilt: „Die Frauen müssen bei uns Miete zahlen. 42 Euro pro Tag und Person.“ Dies sei vielen Menschen unbekannt, sagt Suna Tanış. Selbstverständlich könnten die vor häuslicher Gewalt Geflüchteten dies nicht leisten und müssten Sozialleistungen beantragen. Das Problem: Viele fielen hier durchs Raster. Studentinnen, EU-Bürgerinnen, die noch keine fünf Jahre in Deutschland lebten, Frauen mit Eigentum („Die sollen erst ihre Wohnung verkaufen, in der aber der Ex noch wohnt“; Frauen mit kompliziertem Aufenthaltstitel). Selbst wenn das alles nicht vorliege, sagt Tuna, müsste immer noch ein 16-seitiges Papier ausgefüllt werden und es brauche Unterlagen: „Bei manchen Frauen hat aber der Ehemann den Pass zerrissen“, sagt Tanış, „oder sie hat bei der Flucht nicht daran gedacht, ihre Versichertenkarte mitzunehmen.“

Hilfen für Frauen in Not: Vom Arztbesuch bis zum Ausmessen der Küche

Mit „Rauf die Plätze, fertig los“ wollen die Frauenhaus-Teams nicht nur in ihren Städten auf ihre schwierige Lage aufmerksam machen, sie wollen in erster Linie Politikerinnen und Politiker erreichen, die sie dazu auffordern, etwas gegen die Missstände zu unternehmen. „Es ist eine Katastrophe“, sagt Suna Tanış, die seit 2019 das Autonome Frauenhaus des Vereins „Frauen helfen Frauen“ leitet und seit 18 Jahren schon die Zuspitzung der Situation miterlebt. Zu siebt, fünf Kräfte davon in Vollzeit, kümmern sie sich in Oberhausen um ihre 19, demnächst 20 Gäste. „Das hört sich vielleicht komfortabel an“, sagt Suna Tanış, „es ist aber ein Riesen-Aufwand.“ Die Frauen, die oft aus einem anderen Land kommen, kein Deutsch sprechen, vielleicht sogar Analphabetinnen sind, müssten rundum betreut werden. „Sie haben alle absolut kein soziales Netzwerk in der Stadt“, erklärt Tanış. Von Besuchen beim Jobcenter, in Kitas, Schulen und bei Ärzten bis hin zur Anmietung einer Wohnung müssten sie die Frauen an die Hand nehmen. „Wir messen auch mit ihnen die neue Küche aus und machen den Umzug.

Infostand für Frauenhaus-Kampagne

Für die Kampagne „Rauf die Plätze, fertig los“ wirbt der Verein „Frauen helfen Frauen“ am Internationalen Weltfrauentag, 8. März 2023, an einem Stand am Friedensplatz in der Oberhausener Innenstadt.

Bereits ab 14 Uhr am Mittwoch können sich Besucherinnen und Besucher per Glücksrad symbolisch einen Frauenhaus-Platz erspielen. Dabei soll verdeutlicht werden, welche Hürden von Gewalt betroffene Frauen durchlaufen müssen, um in Sicherheit leben zu können.

Immer wieder müssen Suna Tanış und ihre Kolleginnen hilfesuchende Frauen auf andere Adressen hinweisen – und auf der interaktiven Grafik des Frauen-Info-Netzes im Internet sind so gut wie alle Standorte signalrot markiert. Selbstverständlich hätte sie daher gerne mehr Plätze, doch würde diese Lösung nur ein weiteres Problem zutage fördern: „Ich müsste mehr qualifizierte Mitarbeiter finden.“ Bis dahin schließen sie sich dem landesweiten Protest an, fordern kostenlose und barrierefreie Plätze. Und durchsuchen weiter die Wohnungsannoncen für die, die schon da sind und dringend ihre Hilfe brauchen.