Oberhausen. Ärzte erleben in ihrem Berufsalltag oft schwere Schicksalsschläge, machen sogar Behandlungsfehler – und bleiben damit allein. Mit fatalen Folgen.
Ärztinnen und Ärzte kümmern sich um die Gesundheit ihrer Patienten. Aber wer kümmert sich um die Gesundheit der Mediziner? „Meist niemand, nicht einmal sie selbst“, sagt Dr. Peter Kaup, Vorsitzender der Kreisstelle Oberhausen der Ärztekammer Nordrhein. Dabei sei das dringend nötig. Denn Mediziner hätten eine drei Mal höhere Suizidrate als der Durchschnitt. „Studien zeigen auch, dass unsere Berufsgruppe hochgradig gefährdet ist für Alkohol- und Medikamentenmissbrauch.“
Oft liegt es an traumatischen Erfahrungen im Berufsalltag, dass plötzlich auch die Helfer Hilfe benötigen. Die Wiederbelebung eines Kindes im Notdienst scheitert, obwohl man alles richtig gemacht hat? Wer weiterbehandeln will, ohne seelisch zu erkranken, muss damit fertig werden. Damit das gelingen kann, bietet die Ärztekammer Nordrhein ihren Mitgliedern jetzt eine neue Krisenintervention an.
„Depressionen und Sucht sind in unserer auf Leistung getrimmten Gesellschaft nach wie vor Tabuthemen“, sagt Kaup, der hier dringend ein Umdenken fordert – auch bei seinen eigenen Kolleginnen und Kollegen in Oberhausen. Gefährdet ist, wer im Berufsalltag an seine Grenzen stößt und keinen Weg findet, damit umzugehen. „Da kommt zum Beispiel ein langjähriger Patient in die Praxis und klagt über Bauchprobleme. Die Abklärung ergibt nichts Gravierendes – doch am nächsten Tag ruft die Ehefrau an: Ihr Mann sei in der Nacht verstorben.“
Natürlich kreisen da die Gedanken. „Was habe ich falsch gemacht? Was übersehen? Durch welche Untersuchung hätte ich darauf kommen können, dass so etwas passieren wird?“ Kaup weiß aus vielen Gesprächen mit seinen Kollegen: „Selbst wenn man alles richtig gemacht hat, so etwas verfolgt jeden Arzt.“
Die tägliche Arbeitsbelastung ist enorm
Für viele kaum zu ertragen seien neben den tatsächlichen auch die „Beinahe-Fehler“. Denn der eigene Anspruch ist bei Medizinern in der Regel hoch. Pandemie, Grippewelle, Behandlungen im Minutentakt. „Da wird schnell die nächste Spritze aufgezogen und kurz bevor sie gesetzt wird, stellt man fest: Es ist das falsche Medikament.“ Oder die Dosis auf dem Rezept wird versehentlich falsch eingetragen. Erleichterung, wenn so etwas glimpflich verläuft. Doch das Schuldgefühl bleibt. „Was wäre wenn?“ nage an der Seele. Der Druck sei enorm, viele scheitern daran. „Die einen bekommen Depressionen, andere flüchten in die Sucht oder gleich aus dem Beruf.“
Anlaufstellen für Patientinnen und Patienten gibt es schon lange, sie können sich im Falle eines Behandlungsfehlers kostenlos an die Gutachterkommission der Ärztekammer wenden. Für mögliche gesundheitliche Folgeschäden kommt die Pflichtversicherung der Praxen auf. Doch eine Anlaufstelle für Mediziner in seelischer Not fehlt. „Und damit ein Ort, wo man Dampf ablassen, sich eine zweite, unabhängige Meinung einholen oder einfach nur sprechen kann“, meint Kaup.
Inzwischen hat die Ärztekammer Nordrhein in Düsseldorf den Ausschuss „Ärztegesundheit“ gegründet. Die benötigten Strukturen und Hilfsangebote sollen endlich auf- und ausgebaut werden. Mit diesem Angebot zur Krisenintervention ist ein wichtiges Ziel erreicht worden, „das allen Kammermitgliedern unentgeltlich und anonym zur Verfügung steht“.
Auch therapeutische Angebote können vermittelt werden
Ansprechpartner der Beratungsstelle ist Dr. Stephan Spittler, Facharzt für Neurologie und Chefarzt der Klinik für Psychische Gesundheit der Alexianer in Krefeld. „Wir wollen mit unserem Angebot emotionale Erste Hilfe leisten“, erläutert Spittler auf der Homepage der Ärztekammer Nordrhein. Zunächst gehe es um einen kollegialen Austausch auf Augenhöhe. „Denn nicht jede heftige Stressreaktion, die etwa durch einen Behandlungsfehler ausgelöst wurde, ist therapiebedürftig.“ Es gehe darum, ein Unterstützungsangebot für Ärztinnen und Ärzte vorzuhalten, die therapeutische Hilfe benötigen.
Denn nur so lässt sich eine fatale Abwärtsspirale verhindern. „Die Erkenntnis, dass der Alltag nicht mehr so läuft, wie man das erwartet, ist schambehaftet“, sagt Kaup. „Man duckt sich weg, tut so, als ob nichts wäre, versteckt seine Probleme.“ Doch die seien dadurch ja nicht verschwunden. Im Gegenteil: „Ein kranker Arzt kann sich nicht mehr konzentrieren, macht mehr und gravierendere Fehler.“ Genau das aber will natürlich kein Mediziner.
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