Oberhausen. In diesem Jahr sind nur wenige betriebliche Ausbildungsplätze frei geblieben. Wer sich auf eine Lehre bewirbt, hat heutzutage aber große Wünsche.
Auch wenn es mehr betriebliche Ausbildungsplätze gab in diesem Jahr und weniger junge Menschen in Oberhausen ohne Lehrstelle blieben – alle Warnlampen leuchten Rot bei der Bilanz des Ausbildungsjahres 2022. Denn das Problem des Fachkräftemangels bleibt nach Einschätzung der Arbeitsagentur und Wirtschaftsverbände dauerhaft erhalten. Auf der Bilanzpressekonferenz im Betrieb des Archivdienstleisters „Gehring Group“ gaben die einen die Schuld daran den vielen schlecht vorbereiteten Jugendlichen, die anderen den Chefs der Betriebe, die starr an Althergebrachtem festhalten würden.
Einig war man sich aber, dass es gegen die Misere schnell kreativer Ideen bedarf. Denn die gute alte duale Ausbildung, die Mischung aus Berufsschule und Praxis mit Kammer-Prüfung am Ende, hat ausgerechnet jetzt bei jungen Menschen ein großes Imageproblem.
In Oberhausen kamen im Ausbildungsjahr 2022 rechnerisch 0,9 auf einen Bewerber (im Vorjahr: 0,7). Das ist viel besser als früher, als in Oberhausen zwei Bewerber um eine einzige Lehrstelle rangeln mussten. 591 Verträge wurden geschlossen – 15 Prozent mehr als im Vorjahr. Von den 1404 gemeldeten Ausbildungsstellen (11,9 Prozent mehr als 2021) waren Ende September noch 97 unbesetzt (60 weniger als 2021).
„Trotz des Fachkräftemangels bildet nur jeder fünfte Betrieb aus“, legte DGB-Geschäftsführer Dieter Hillebrand den Finger in die Wunde. Die Unternehmen seien in der Pflicht, mehr und attraktivere Ausbildungsplätze bereitzustellen. „Ich bin überzeugt, dass Betriebe, die nach Tarif zahlen und ihre Beschäftigen mitbestimmen lassen, keine Probleme bei der Suche nach Auszubildenden haben.“
Selbst die Industrie mit guten Löhnen sucht händeringend junge Leute
Elisabeth Schulte vom Unternehmerverband Ruhr-Niederrhein, verteidigte die Unternehmer: Nicht jeder Betrieb könne ausbilden, manche seien zu klein dafür. Und auch in der Industrie, wo es eine 35-Stunden-Woche gebe und wo „super bezahlt“ werde, suche man händeringend nach geeignetem Nachwuchs. In einer sehr schwierigen Zeit sei es den Unternehmen aber gelungen, mehr Lehrstellen anzubieten „Dabei wird der Aufwand, einen Jugendlichen zu gewinnen, immer größer. Die kommen mit Vorstellungen wie einer 25-Stunden-Woche und vielen anderen Dingen.“ Dass die erste Frage oft die nach einem Dienstwagen ist, haben auch andere in der Runde schon erlebt.
Barbara Yeboah von Kreishandwerkerschaft Mülheim/Oberhausen, sieht ebenfalls Defizite auf Bewerberseite: „Die Qualität der Bewerber hat abgenommen. Inzwischen lädt man aber die, bei denen man früher gesagt hätte ,Die gucke ich mir nicht an’, doch noch ein.“ Der demografische Wandel, durch den es viel weniger junge Leute gebe, und die Tatsache, dass die meisten Schulabgänger an die Unis strömen, ließen keine andere Wahl.
Kein Studium – Eltern müssen sich rechtfertigen
Viele Eltern müssten sich regelrecht rechtfertigen, wenn ihr Kind keinen Studienplatz antritt, sondern eine Ausbildung macht, erlebt Franz Roggemann von der IHK Essen. „Da werde ich richtig wütend. Die duale Ausbildung mit Betrieb und Schule ist eine der Säulen unseres Wohlstands.“ Man müsse auf allen Ebenen „trommeln und klappern“, um die Attraktivität wieder zu steigern.
„Junge Menschen werden ins Studium gedrängt, durch ihre Eltern und durch Social Media“, beobachtet auch der Oberhausener Arbeitsagentur-Chef Jürgen Koch. Er verlangt von den Betrieben, umzudenken. Beispielsweise bei Bewerbungen. Wenn die Eltern dies nicht in die Hand nähmen, seien die meisten Schulabgänger völlig überfordert mit der altmodischen Art der Papier-Bewerbung. Flüchtigkeitsfehler dürften kein Ausschlusskriterium mehr in den Betrieben sein. „Bewerbungen dürfen keine Rolle mehr spielen. Jeder hat Talente und das kann man nur im Gespräch kennenlernen.“
Gehring: Vorbildliche Bedingungen für Azubis
Personalleiterin Sonja Gehring handelt bereits so: „Schulnoten sind nur Momentaufnahmen. Der neue Auszubildende muss ins Team passen.“ Wie viele Fehlstunden stehen auf dem Zeugnis, wie viele davon sind unentschuldigt? Dies sei wichtiger für sie als die Mathe-Note in der zehnten Klasse.
Medina Pupovic hat das Gehring-Betriebsklima gut gefallen. Die 29-Jährige wird hier zur Kauffrau für Büromanagement ausgebildet – in Teilzeit. Ihre zweijährige Tochter geht währenddessen in die Betriebskita im selben Gebäude. Pupovic musste viele Bewerbungen schreiben, bis ihr jemand diese Chance geben wollte. Ausbildung in Teilzeit kommt in vielen Betrieben immer noch nicht gut an. Wahrscheinlich gehen ihnen so einige motivierte Mitarbeiter durch die Lappen.
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