Oberhausen. Eine AG ganz ohne Jungs: Das finden Drittklässlerinnen in Oberhausen super und trauen sich plötzlich Dinge, die sie sonst nicht gewagt hätten.
Was kann man tun, um kleine Mädchen selbstbewusst und mutig zu machen? Eine AG ganz ohne Jungs ist schon einmal eine gute Idee, haben die Schulsozialarbeiterinnen der Arbeiterwohlfahrt festgestellt. Hier finden Drittklässlerinnen von fünf Oberhausener Grundschulen einen sicheren eigenen Raum, um Fragen zu stellen, zusammen zu tanzen, zu basteln oder einfach nur herumzublödeln – ganz ohne blöde Kommentare, die manchmal vom anderen Geschlecht kommen. Im sechsten Jahr werden diese AGs seit den Sommerferien wieder angeboten. In den Herbstferien kamen nun alle 40 Teilnehmerinnen zusammen, um bei ganz besonderen Aktionen zu zeigen, was sie so drauf haben.
„Starke Mädchen wunderbar. Wir haben’s drauf, das ist doch klar. Starke Mädchen sind der Hit. Los kommt, Leute, macht alle mit.“ Schulsozialarbeiterin Lisa Messerschmidt steht an der Tafel in einem Klassenraum der Brüder-Grimm-Schule, nickt im Takt des Beats und zeigt den Mädchen, welche der handgeschriebenen Zeilen gerade dran ist. Die Verse bilden einen Rap-Song, den sie heute zusammen geschrieben haben. Einige singen ihn lautstark mit, andere noch verhalten. Hier darf jede so sein, wie sie ist. „Unsere AGs sind ein Raum, in dem sich die Mädchen entfalten können“, sagt Yasemin Bartal, die als Schulsozialarbeiterin an der Brüder-Grimm-Schule arbeitet. Es gehe um Träume, um Wünsche, um Jungs und Tik-Tok-Videos. „Wir können über alles ohne Hemmungen reden. Das kommt supergut an.“
Mädchen und ihre Gefühle: Zurück schreien oder nicht?
Iyanu ist 9 Jahre alt und verfügt bereits über eine große Portion Selbstbewusstsein. Auf die Frage, ob es etwas gibt, das Mädchen besser können als Jungs, ruft sie es lauthals hinaus: „Fußball!“ Lilly, acht Jahre alt und etwas schüchterner, beschwert sich darüber, dass Jungs Mädchen so oft auslachen. Elizan (8) wird immer von einem Jungen auf dem Spielplatz geärgert. „Dann werde ich richtig sauer“, sagt sie. Dass sie ihn dann anschreit, helfe leider nichts. „Er schreit noch lauter zurück.“ Überall können sie nicht dabei sein, doch zumindest für die Schule trainieren Lisa Messerschmidt und die anderen Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter, wie man souverän mit solchen Situationen umgehen kann: „Wir haben die Halt-Stop-Regel. Die Kinder sollen drei Mal laut und deutlich ,Halt Stop’ sagen. Wenn das nicht funktioniert, holt man einen Lehrer.“ Der Umgang mit Wut und Ärger will gelernt sein.
Manchmal gibt es bei den Mädchen auch ein richtiges Gefühls-Kuddelmuddel, wie Yasemin Bartal beobachtete: „Ab der vierten Klasse heißt es oft ,Der ärgert mich’ und wenn man darüber spricht, dann: ,Eigentlich finde ich den gut’.“ Sie schmunzelt über ihre Schützlinge, die sich manchmal ganz viel trauen und dann wieder so zurückhaltend sein können. „Ich bin überrascht und richtig stolz auf unsere Mädel“, sagt Gamze Yılmaz-Hayırlı, Schulsozialarbeiterin an der Wunderschule. „Auch die Mädchen, die sonst nichts im Unterricht sagen, stehen hier plötzlich vorne und zeigen den anderen Tanzschritte.“
Rappen wie die Jungs: Man muss sich nur trauen
Während Iyanu, Elizan und die anderen noch ihren Rap-Text üben, wird in einem anderen Raum eine Etage höher schon etwas aufgenommen. Daniel Schneider von der Rapschool NRW hat ein Profi-Mikrofon aufgebaut. Die Mädchen kichern. Sie sind aufgeregt. Eine nach der anderen darf ihre Zeile einsprechen. Wer es fehlerfrei schafft, wird von Musiker und Produzent Schneider gelobt und von den anderen, die sich in dem kleinen Raum drängen, mit Applaus gefeiert. Die Mädchen strahlen. „Rap ist immer noch ein typisches Männer- und Jungs-Ding“, sagt Yasemin Bartal. „Man muss dafür aus sich herauskommen. Das erfordert Mut und Selbstbewusstsein.“ Das Aufbrechen von Rollenklischees ist fester Bestandteil der Mädchen-AGs.
„Die Mädchen sind so stolz“, sagt Dagmar Marschlich. „Und wir sind stolz auf die Mädchen.“ Sie ist Vize-Präsidentin im Zonta Club Oberhausen und besucht die Projekttage der fünf Grundschul-AGs stellvertretend für das Frauen-Netzwerk. Ohne Zonta könnten die Mädchen von der Concordia-, Wunder-, Siedlerweg-, Jacobi- und Brüder-Grimm-Schule heute nicht das Produzieren eines Rap-Songs erlernen. Zonta finanziert nicht nur die musikalische Mutprobe, sondern auch einen Kinobesuch und den Ausflug in eine Kletterhalle.
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Vor Letzterem hatte Sophia zuerst richtig Angst, „als ich gehört habe, dass die Wände da so hoch wie Häuser sind“. Aber dann sei sie ermutigt worden – „von mir selbst“. Offensichtlich wirkt die Strategie so mancher Schulsozialarbeiterin, die Maila so beschreibt: „Manchmal sage ich ,Das kann ich nicht’, dann sagt Frau Messerschmidt immer ,Das möchte ich nicht hören’ und dann versuche ich es noch einmal und traue mich doch.“