Oberhausen. Ein neuer Film blickt auf die späten 1980er Jahre in der untergehenden DDR – die Regisseurin hat ihr Werk jetzt in der „Lichtburg“ vorgestellt.
Glamouröse Mode in der DDR? Glaubt hierzulande kaum ein Mensch, dass es im sozialistischen Grau in Grau auch solche gab. Und darf sich nun dank des angenehm unnostalgischen Kino-Films „In einem Land, das es nicht mehr gibt“ der 1966 in Ost-Berlin geborenen Regisseurin Aelrun Goette ganz ohne erhobenen Zeigefinger eines Besseren belehren lassen.
Der jetzt in der Lichtburg läuft, wo ihn die Filmemacherin mit der Schauspielerin Claudia Michelsen samt anschließendem Gespräch präsentierte. Die Geschichte, die sie in warmer Farbigkeit (Kamera: Benedict Neuenfels) erzählt, ist größtenteils ihre eigene. Und gleichzeitig eine der DDR kurz vor der Wende, wo es neben staatlicher Repression auch eine (wohl nur mühsam) tolerierte Underground-Szene gab, die ihr westlich orientiertes Anderssein (-Wollen) in ständigem Spagat von unangepasster Aufmüpfigkeit und Stasi-Kontaktvermeidung auslebte.
Von der Schule in die sozialistische Produktion
Nun, in dem Film ist es die 18-jährige Suzi (von der verstorbenen Mutter nach der Rock-Röhre Suzi Quatro benannt), die von einem Studium und Leben als Schriftstellerin träumt. Was der harmlose Aufnäher „Schwerter zu Pflugscharen“ und George Orwells dystopischer Roman „1984“ zunichtemachen, wegen derer sie von der Schule fliegt und sich als Arbeiterin in der sozialistischen Produktion bewähren muss.
Dass Suzi (in all ihrer Fragilität grandios verkörpert von Marlene Burow) bald darauf ihren sackförmigen Blaumann gegen ein goldenes Abendkleid tauschen kann, verdankt sie einem Zufallsfoto, das in dem heute für ihre eigene Bildsprache berühmten Modejournal Sibylle landet. Und ihr die Tür in die glamouröse Welt der Mode von VHB Exquisit und auf die Seiten der, nun ja, Vogue des Ostens öffnet.
Womit auch der Kontakt zum Ostberliner Underground verbunden ist, in den das unsichere Mannequin begierig eintaucht. Der extravagant-androgyne Rudi bringt ihr den „aufrechten Gang“ bei, in den rebellischen – erkennbar dem heutigen Berghain-Türsteher Sven Marquardt nachgezeichneten – Fotografen Coyote verliebt sie sich. Doch rasch zeigt sich, dass ihr nun gelebter Traum von Freiheit auch einen Preis hat.
„Ich habe fast 14 Jahre für diesen Film recherchiert“
Es ist eine sehenswerte Coming-of-Age-Story, wie sich die unsichere Suzi zur selbstbewussten Frau wandelt und gleichzeitig eine bis ins kleinste Detail liebevoll erzählte Geschichte „Aus einem Land, das es nicht mehr gibt“ mit all seinen Brüchen und Widersprüchen. „Ich habe fast 14 Jahre für diesen Film recherchiert“, so Aelrun Goette nach der gefeierten Aufführung: „Alle Fotos, die man sieht, sind wirklich aus der Sybille.“
Auch jene kleine Szene, wo eine alte Frau mit zwei Trabbi-Reifen auftaucht, sei authentisch. Während der große Monolog über die Schönheit, den Claudia Michelsen in der Figur der kühlen Moderedakteurin ihrem neuen Mannequin hält, spontan entstanden sei, nachdem eine große TV-Anstalt ihr Drehbuch abgeschmettert habe mit den Worten „Schönheit will keiner sehen!“
„Eine West-Jeans ist über die Jahre mit einem mitgewachsen“
Auf die Frage, ob es Absicht gewesen sei, dass jene Redakteurin der legendären Vogue-Chefin Anna Wintour schwer ähnele, reagierte die Regisseurin leicht ungehalten: „Gucken Sie sich Fotos von Christa Wolf aus der Zeit an, dieser Haarschnitt war damals Mode, und wenn Anna Wintour jetzt so aussieht, dann ist das halt so.“ Interessant auch ihre Beteuerung, selbst niemals DDR-Klamotten getragen und Ost-Musik (die in ihrem Film keine Rolle spielt) gehört zu haben. Was Claudia Michelsen, die ansonsten eher still blieb, so ergänzte: „Eine West-Jeans ist über die Jahre mit einem mitgewachsen.“
Das nahezu vollständig weibliche Publikum zeigte sich jedenfalls von dem Film begeistert, dem ein aus Magdeburg stammender Herr schließlich bewegt attestierte, er spiegele authentisch das damalige Leben in der DDR mitsamt dem unterdrückten Freiheitsstreben. Unser Fazit: Für alle Generationen unbedingt sehenswert! Oder frei nach Herbert Grönemeyer: „Tief im Osten war es besser, viel besser als man glaubt.“