Oberhausen. Das Jazzkarussell im Gdanska startet in den Herbst – mit fulminanter Live-Musik, aber leider auch mit einer überschaubaren Resonanz des Publikums.

Es wird ein Heulen und Zähneklappern sein, heißt es gleich siebenmal in der Bibel. Wobei die Evangelisten Lukas und Matthäus gewiss nicht die aktuelle Lage der Kulturlandschaft im Sinn hatten. Und auch nicht die alte Boxer-Weisheit „they never come back“ (sie kommen nie zurück), die augenscheinlich jetzt auch für Konzertbesucher gilt.

Gerade erst befand der Essener Musik-Kabarettist Timm Beckmann angesichts leerer Reihen bei seiner erfolgsverwöhnten „Liga der außergewöhnlichen Musiker“ mit grimmigem Humor „Halbvoll ist das neue Ausverkauft“, worüber man nun beim Start der Herbstsaison des Jazzkarussells im Gdanska nur müde lächeln konnte.

Hätte man den Minjan, das Quorum von zehn Gläubigen für den jüdischen Gottesdienst, als Maßstab genommen, wäre das Konzert nämlich klar ausgefallen. Offenbar galt gemäß der Stürmer-Legende Jürgen „Kobra“ Wegmann an diesem Abend: „Zuerst hatten wir kein Glück, und dann kam auch noch Pech dazu.“ Musste doch das ursprünglich angesagte „Felix Petry Trio feat. Max Hobohm“ aus Hannover äußerst kurzfristig seinen Auftritt in Oberhausen absagen – wegen Pest an Bord.

Jan Bierther füllt spontan die Lücke

Kein Glück, sondern eine feine kollegiale Geste, dass der famose Gitarrist Jan Bierther, Gastgeber der benachbarten Reihe „Jazz in der Fabrik“, spontan die Lücke füllte. Was vor allem deswegen bemerkenswert ist, weil es in der Vergangenheit doch gewisse Animositäten zwischen dem K14 und dem Gdanska gab. Die wohl in der Person von Walter „Kuro“ Kurowski begründet waren, der weiland sein Jazzkarussell von der Lothringer Straße an den Altmarkt verlegt hatte.

Nennen wir es also den Beginn einer wunderbaren Freundschaft, dass Jan Bierther nun mit Kuros singender Tochter Eva und der jungen, aus London stammenden Bassistin Genevieve O’Driscoll ihren acht Zuhörern den Abend nicht nur rettete, sondern zum fein swingenden Vergnügen machte. Und dies von A bis Z, weil die drei die Bibel aller Jazzer, das sogenannte „Real Book“, mit famosen Standards von „All of Me“ über „Cry Me a River“ und „Love For Sale“ bis „’Round Midnight“ heiter und gelassen durchdeklinierten.

Von fallenden Blättern und dem lieben Gott

Mit samtig-elegantem Ton satt pulsend grundiert von der vielversprechenden Bassistin mit dem unaussprechlichen Vornamen, legte Jan Bierther rhythmisch wie harmonisch attraktive Melodiebögen vor, über denen Eva Kurowski dann warmherzig von der Liebe, fallenden Blättern („Autumn Leaves“), dem lieben Gott oder Beziehungskisten („Just Friends“) kündete. Alles natürlich schon tausendmal gehört, aber das macht halt den Reiz des Jazz aus, dass die alten Standards immer wieder neu und bei jedem Interpreten anders klingen.

Insofern boten Jan Bierther und Genevieve O’Driscoll mit der Jazzkarussell-Chefin ihrem Publikum eine zart-duftige Auffrischung nostalgischer Erinnerungen an große Jazzmomente. Weshalb an diesem Abend das Heulen und Zähneklappern auf das nächste Konzert vertagt wurde. Es wäre zu wünschen, dass sich für den Auftritt des indonesischen „Nita Aartsen Quintet feat. Dian Pratiwi“ am 15. September der kuschelige Saal des Gdanska spürbar mehr füllt.

Eva Kurowski würde sich selbst über ein „Halbvoll ist das neue Ausverkauft“ freuen. Während wir etwas zynisch konstatieren: „Wer im Konzert sitzt, braucht derweil zuhause nicht zu heizen.“ Ansonsten ist es nämlich nur noch eine Frage der Zeit, wann für Live-Musik der Ofen endgültig aus ist.