Oberhausen. Droht der Politik ein heißer Herbst? Werden die politischen Ränder erstarken? Im Interview äußert sich Martin Florack zur aktuellen Krisenlage.
Der Gesprächsbedarf in den Wahlkreisen sei groß, sagt die aus Duisburg stammende Bundestagspräsidentin Bärbel Bas mit Blick auf den Ukrainekrieg, auf die Energie- und Gaskrise und steigende Lebenshaltungskosten. Die Redaktion befragte dazu den Oberhausener Politikwissenschaftler Dr. Martin Florack, Fellow der NRW School of Governance, eine Einrichtung des Instituts für Politikwissenschaft der Universität Duisburg-Essen.
Martin Florack ist in Stadt und Region nicht allein als Politikwissenschaftler präsent; seit dem 1. Mai hat er zudem die Leitung des Bereichs Integrierte Stadtentwicklung und Statistik bei der Stadtverwaltung Oberhausen übernommen.
Herr Florack, steht der Politik ein heißer Herbst bevor?
Martin Florack: Ich habe schon den Eindruck, dass in Berlin, in der Bundesregierung und im Parlament die Sorgen vor einer Zuspitzung der politischen Stimmung in der Bevölkerung extrem groß sind. Bei den Lebenshaltungskosten sind noch nicht alle Preissteigerungen und Verteuerungen konkret spürbar. Man könnte also formulieren: Die Stimmung in der Bevölkerung ist derzeit besser als die tatsächliche Lage. Aber das kann sich im Spätsommer oder Herbst schnell ändern, auch mit Auswirkungen auf die kommunale Ebene.
Woran denken Sie dabei vor allem?
Wenn wir im Herbst möglicherweise darüber diskutieren, wie hoch die Raumtemperatur in öffentlichen Gebäuden sein darf oder wie warm das Wasser im öffentlichen Schwimmbecken, dann wird die Energiekrise ganz konkret. Dann werden auch die Kommunalpolitiker eine wichtige Vermittlungsfunktion haben, um die Sorgen und die Kritik der Bevölkerung konstruktiv aufzunehmen.
Werden die politischen Ränder dann profitieren?
Das kommt darauf an, wie sich diese Debatte und die Deutung der aktuellen Lage entwickeln werden. Je nach Interpretation dürften unterschiedliche Markenkerne der Parteien ins Spiel kommen. Eine intensive Diskussion über soziale Härten in der Energiekrise macht daraus eine sozialpolitische Fragestellung. Die Betonung von Klimaschutz und Umbau der Energiewirtschaft löst andere politische Reaktionen aus. Und es ist auch nicht auszuschließen, dass bei einer dramatischen Zuspitzung der Lage Forderungen nach einem außenpolitischen Ausgleich mit Putins Russland lauter werden.
Der Gesprächsbedarf in den Wahlkreisen sei sehr hoch, sagt Bundestagspräsidentin Bärbel Bas. Stimmen Sie zu?
Vor dem Hintergrund der skizzierten Situation ist der Gesprächsbedarf der Bevölkerung wahrscheinlich wirklich sehr hoch. Ich denke aber, dass diese Kommunikation weniger über die Wahlkreisbüros und -aktionen der einzelnen Abgeordneten läuft, sondern über viele andere Formate. Die Diskussion wird vor allem medial und über die sozialen Netzwerke geführt werden. Nicht unterschätzen würde ich zudem symbolische Kommunikation von politischer Seite: Die Einführung eines Tempolimits auf Autobahnen oder die Verlängerung von Laufzeiten von Atomkraftwerken wäre nicht nur eine politische Sensation, sondern vor allem auch ein für alle erkennbares Signal, dass die Lage dramatisch ist.