Oberhausen. Fühlen sich geflüchtete Ukrainer unwohl in Deutschland? Wir haben zwei gefragt, die in die Heimat zurückgekehrt sind. Ihre Gründe.

Fedor Zdorik ist zurückgekehrt, weil er seine Patienten nicht im Stich lassen wollte, Olena Skrypko, weil sie sich um ihre Eltern kümmern muss. Zwei Geflüchtete aus der Ukraine, die in Oberhausen eine Bleibe gefunden hatten und sich dennoch entschieden, wieder nach Hause zu gehen – mitten im Krieg.

2343 ukrainische Geflüchtete leben aktuell in Oberhausen. 433 Personen, die hier zunächst gemeldet waren, sind nach Angaben der Stadt inzwischen wieder abgereist. Ist es die Sehnsucht nach der Heimat und den Daheimgebliebenen? Die Angst vor dem Verlust der Arbeitsstelle? Andrij Melnyk, Noch-Botschafter der Ukraine in Deutschland, hat Mitte Juni eine andere Erklärung: Seine Landsleute würden sich hier nicht wohlfühlen, fühlen sich nicht willkommen, weil Deutschland nicht genügend Waffen zur Verteidigung der Ukraine liefere.

Der Oberhausener Igor Arseniev übersetzt die Video-Gespräche mit den ukrainischen Rückkehrern. Der Deutsch-Ukrainer hat mit seiner russischen Ehefrau ein Unternehmen, das medizinische Aufenthalte für schwer kranke Menschen aus früheren Ländern der Sowjetunion organisiert. Zurzeit helfen sie ehrenamtlich Kriegsgeflüchteten.
Der Oberhausener Igor Arseniev übersetzt die Video-Gespräche mit den ukrainischen Rückkehrern. Der Deutsch-Ukrainer hat mit seiner russischen Ehefrau ein Unternehmen, das medizinische Aufenthalte für schwer kranke Menschen aus früheren Ländern der Sowjetunion organisiert. Zurzeit helfen sie ehrenamtlich Kriegsgeflüchteten. © FUNKE Foto Services | Jörg Schimmel

„Es ist bitter, so etwas zu hören“, sagt Igor Arseniev, selbst gebürtiger Ukrainer und ehrenamtlicher Helfer für Geflüchtete (wir berichteten). Es sei einmalig, wie viel Hilfsbereitschaft die Menschen in Deutschland erfahren: „So herzlich willkommen wie hier sind sie nicht einmal im eigenen Land.“ Arseniev hat für uns den Kontakt hergestellt zu Fedor Zdorik, dem Arzt, und zu der Ingenieurin Olena Skrypko, die an Krebs erkrankt ist. Im Videotelefonat übersetzt er unsere Fragen und hilft uns dabei, ihre Geschichten zu verstehen.

Bombenalarm in Kiew: „Wir haben keine Zeit, die Praxis zu verlassen“

Fedor Zdorik (67), Kiew: „Ich war drei Monate in Oberhausen: März, April und Mai 2022. Meine Frau, die als Gynäkologin arbeitet, war auch dabei, eine meiner zwei Töchter und mein kleines Enkelkind. Wir wollten uns nur vor den Bomben verstecken. Was wir in Oberhausen bekommen haben, war viel mehr als das, womit wir gerechnet hatten. Alles war so gut organisiert. Ich möchte mich bei der deutschen Nation dafür bedanken, dass sie uns in dieser schwierigen Situation geholfen hat. Das war sehr menschlich. Und ich bin sehr dankbar dafür, dass Igor Arseniev alle Freunde und Bekannte in der Ukraine angerufen und seine Hilfe angeboten hat – noch bevor er wusste, ob und welche Hilfsstrukturen es geben würde.

Ich bin Psychiater und leite eine Gemeinschaftspraxis. Als ich erfahren habe, dass es etwas ruhiger geworden ist in Kiew, habe ich auch gemerkt, dass meine Patienten mich brauchen. Ich habe meine Sachen gepackt und bin zurückgekehrt. Fast alle Ärzte sind zurückgekehrt und versuchen, ihren Patienten zu helfen. Es wird jetzt sehr viele geben, die von der Front zurückkehren oder Bombenangriffe erlebt haben.

Natürlich habe auch ich Angst vor dem Krieg, wie alle Menschen. Aber als Arzt habe ich auch Verpflichtungen. Ich denke an den polnischen Lehrer Janusz Korczak, der freiwillig mit den Kindern des jüdischen Waisenhauses, das er geleitet hatte, ins KZ ging.

In den vergangenen Wochen gab es häufig Bombenalarm bei uns. Das Problem ist, dass wir keine Zeit haben. Wir bleiben inzwischen einfach in der Praxis. Die Menschen gewöhnen sich an alles, kann ich als Psychiater sagen. Aber wenn die Menschen in Europa sich an das gewöhnen, was uns gerade passiert und uns nicht helfen, dann könnte es passieren, dass auch bei ihnen eines Tages Krieg ausbricht.“

Mit den Kindern im Keller: „In Deutschland haben sie sich wieder beruhigt“

Olena Skrypko (37), bei Kiew: „Meine Schwester mit ihrem 15-jährigen Sohn und ich mit meiner fünfjährigen Tochter waren drei Monate in Oberhausen. Wir haben in Deutschland nur Positives erlebt. Ich habe Krebs und bin sehr dankbar für die Operation und die Bestrahlung, die ich dort bekommen habe. Mein Neffe hat sofort Freunde gefunden in der Schule und Deutsch gelernt.

Olena Skrypko berichtet im Gespräch per Mobiltelefon von ihrem Alltag in einem Dorf nahe der ukrainischen Hauptstadt Kiew.
Olena Skrypko berichtet im Gespräch per Mobiltelefon von ihrem Alltag in einem Dorf nahe der ukrainischen Hauptstadt Kiew. © FUNKE Foto Services | Jörg Schimmel

Zu Beginn des Krieges haben wir lange im Keller gelebt. Die Kinder hatten große Angst. In Deutschland haben sie sich wieder beruhigt. Aber wir hatten die ganze Zeit Heimweh. Unsere Eltern sind alt und krank. Sie haben immer wieder gefragt, wann wir zurückkommen. Wir haben uns verantwortlich für sie gefühlt.

Wir wohnen in einem Dorf in der Nähe von Kiew. Nach unserer Rückkehr hatte ich erst Angst, aber jetzt nicht mehr so sehr. Es gibt eine spezielle App, die uns anzeigt, wenn die Sirenen heulen oder es einen Bombenangriff gibt. Die Schule meiner Tochter ist geschlossen, aber die privaten Angebote wie Ballettunterricht und Akrobatikkurse laufen weiter. Natürlich immer im Untergeschoss von Gebäuden.

Ich sehe die Zukunft optimistisch. Ich hoffe, dass der Krieg bald zu Ende geht. Aber ich habe auch einen Koffer für den Notfall gepackt. Wenn es wieder so schlimm wird, weiß ich, dass ich in Deutschland herzlich willkommen bin.“