Saporishja/Oberhausen. Die russische Armee feuert Raketen auf die Oberhausener Partnerstadt Saporishja ab. E-Mails aus der Ukraine schildern die heikle Lage vor Ort.
Die Oberhausener Partnerstadt Saporishja im Südosten der Ukraine ist nach Angaben ukrainischer Behörden am frühen Mittwochmorgen von mehreren Raketen getroffen worden. „Am 25. Mai um 5.13 Uhr haben die russischen Streitkräfte vier ballistische Raketen auf Saporishja abgefeuert“, heißt es auf dem Telegram-Kanal der Gebietsverwaltung. Das berichtet die Nachrichtenagentur dpa.
Eine der Raketen ist nach ukrainischer Darstellung von der Luftabwehr abgefangen worden. Die Rettungskräfte seien vor Ort, um sich ein Bild von der Lage, den Schäden und möglichen Opfern des Angriffs zu machen. Nach weiteren Angaben sollen über 60 Wohnhäuser zerstört worden sein und auch ein Einkaufszentrum sei getroffen. Zunächst war von mindestens einem Todesopfer die Rede.
Unterdessen erwarten westliche Militärexperten eine Offensive der russischen Truppen im schwer umkämpften Gebiet Luhansk. In der letzten Woche seien den russischen Truppen dort mehr Geländegewinne als im gesamten Mai zuvor gelungen, erklären Analysten.
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat Saporishja nach der Attacke auf das dortige Atomkraftwerk Anfang März nun erneut ins Zentrum medialer Kriegsberichte gerückt. Die Oberhausener Partnerstadt liegt im Südosten des Landes, nicht allzu weit entfernt von heftig umkämpften Städten wie Mariupol.
Wie ist die Lage in der Partnerstadt? Vladymyr Goloveshko, seit dem Krieg Vertreter des „humanitären Hauptquartiers der regionalen Militärverwaltung von Saporishja“, schreibt regelmäßig Mails an die Oberhausener Stadtspitze – sie geben auf eindrucksvolle Weise Auskunft dazu.
Vladymyr Goloveshko war auf ukrainischer Seite Leiter jener Projekte, die Oberhausen mit der Stadt Saporishja in den Jahren 2017 bis 2020 zu den Themen Bürgerbeteiligung und Zivilgesellschaft organisiert hat. In seiner bisher jüngsten Mail vom 22. Mai 2022 hat der Ukrainer die militärische Lage aus seiner Sicht so bewertet: „Die Streitkräfte der Ukraine verteidigen unser Land weiterhin heldenhaft, insbesondere im Süden der Ukraine in der Region Saporishja. In dieser Zeit hat der Feind keinen einzigen Meter Land bewegt. Die ukrainischen Verteidiger führten eine Reihe erfolgreicher Gegenangriffe durch und vertrieben die Besatzer aus einigen Stellungen im Gebiet Saporishja."
Die Darstellungen aus dem Kriegsgebiet lassen sich naturgemäß aus Oberhausen nicht durch eine unabhängige Quelle belegen. Vladymyr Goloveshko nennt viele weitere Details, die die Ukrainer beobachtet haben wollen. So zeigt er sich sicher, dass die russische Armee Phosphorbomben einsetzt, die nach der Genfer Konvention zum Schutz der Kriegsopfer verboten sind. „Das Dorf Nowojakowlewka in der Region Saporishja wurde mit diesen verbotenen Waffen beschossen und es gab Tote und Verletzte unter der Zivilbevölkerung.“
Mehrstufiges System von Schützengräben, Gräben und Unterständen
In den Mails des Ukrainers zeigt sich, wie sehr die Einwohner der südöstlichen Stadt befürchten, dass die russische Armee bis nach Saporishja vordringt, denn er beschreibt Einzelheiten der Verteidigung: Es seien jetzt drei Verteidigungslinien um die Stadt Saporishja fertiggestellt worden, sie seien ein komplexes und mehrstufiges System von Schützengräben, Gräben und Unterständen. „Diese Verteidigungslinie soll den Schutz der Stadt Saporishja vor dem offensiven schweren Gerät des Feindes sowie vor der Bedrohung durch feindliche Artillerie und den Mehrfach-Raketenwerfer namens Grad gewährleisten“, erläutert Goloveshko.
Eine gute Nachricht sei auch, dass die ukrainischen Streitkräfte in den Kampfstellungen in der Region Saporishja Waffen erhalten hätten, die als Teil der Unterstützung durch internationale Partner geliefert worden seien. Darunter befänden sich einige Modelle amerikanischer Maschinengewehre, Kleinwaffen sowie die 155-mm-Haubitze M777.
Der Ukrainer schildert ebenso Details zur Lage der Bevölkerung in Saporishja selbst. „Die Ausgangssperre wurde ab dem 20. Mai um eine Stunde verkürzt und gilt nun von 22 bis 5 Uhr morgens (vorher von 21 bis 5 Uhr). In der Nacht vom 21. auf den 22. Mai wurde die Luftschutzalarmanlage mehrmals ausgelöst. In Saporishja waren dreimal Raketenexplosionen zu hören. Die Raketenangriffe richteten sich jedoch Berichten zufolge (bisher) gegen Einrichtungen am Stadtrand.“
Informationskrieg gegen die Ukraine
Die russische Regierung würde auch einen Informationskrieg gegen die Ukraine führen, heißt es in der jüngsten E-Mail vom 22. Mai weiter. „So verbreiteten russische Propagandamedien in dieser Zeit falsche Informationen über die Präsenz ausländischer Militärstützpunkte auf der Insel Chortiza in Saporishja. Dies war wahrscheinlich ein Versuch, die wiederholten Raketenangriffe auf unser Chortiza zu rechtfertigen. Die Lage in Saporishja ist weiterhin stabil und unter Kontrolle.“
Das Treibstoffproblem in Saporishja führe allerdings zu Störungen in der Arbeit privater Beförderungsunternehmen. Ein Verkehrskollaps sei jedoch durch die gut koordinierte Arbeit der städtischen Verkehrsbetriebe vermieden worden, schreibt der Ukrainer. In Saporishja würden zugleich immer wieder Flüchtlinge aus anderen Städten eintreffen.
Den E-Mails ist anzumerken, dass sie trotz aller Kriegszerstörungen ein betont optimistisches Bild der Lage zeichnen wollen - das Hoffnungsvolle wird stets hervorgehoben. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warnt unterdessen am Mittwoch (25. Mai) vor der weiterhin vorhandenen Stärke der russischen Armee. Vor allem die Situation im Donbass bezeichnete er als schwierig. Mit massivem Beschuss zermürbt Russlands Armee die ukrainischen Verteidigungslinien im Osten.
Gleichwohl hat Vladymyr Goloveshko aus Saporishja in seinen Mails ein Signal der Hoffnung parat: Erstmals seit langer Zeit sei jetzt wieder einer der Zweige der legendären, 700 Jahre alten Saporishja-Eiche erblüht. „Alle Bürgerinnen und Bürger sehen dies als ein gutes Zeichen für den bevorstehenden Sieg der Ukraine!“